Bianca Exklusiv Band 11
was seine goldige, süße Selina angestellt hatte, würde ihn der Schlag treffen. Lucy stöhnte auf. Ob sie wollte oder nicht, sie musste zur Insel hinüber, und sei es nur, um sich Kleidung zum Wechseln zu besorgen.
Lucy hob die verstreuten Münzen auf und zählte sie rasch. Elfhundert Lire. Würde das für die Überfahrt reichen?
Wenige Minuten später huschte Lucy über einen schwach beleuchteten Pfad zu dem kleinen Anlegesteg.
„Mazzardi", sagte sie und schob die Münzen über den Fahrkartenschalter. „Zur Insel."
„Semplice."
„Wie bitte?"
„Ohne Rückfahrt." Der Mann schien an verwirrte Touristen gewöhnt zu sein und kritzelte eine Zahl auf ein Papier.
Lucy war immer noch so benommen, dass sie einen Augenblick brauchte, ehe ihr klar wurde, dass ihr Geld nur für die Hinfahrt reichte. Sie zögerte kurz, dann nickte sie. Selina hatte sicher etwas Geld in ihrem Zimmer. Lucy betete im Stillen, dass es so war, denn wie sollte sie die Insel sonst wieder verlassen?
Lucy erwachte, weil ihr jemand laut ins Ohr sang. Verschlafen strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und setzte sich auf. Sie suchte nach der Quelle des Gesangs und stellte fest, dass er aus einem Radiowecker neben dem Bett kam. Lucy wollte verhindern, dass der Lärm das ganze Haus weckte, und suchte hastig nach denn Ausschaltknopf.
Verflixt! Die Beschriftung war italienisch.
Die Stimme des Tenors füllte den kleinen, kärglich eingerichteten Raum. Lucy drückte auf alle Knöpfe und Tasten, die sie erkennen konnte, aber das tragische Lied hörte nicht auf.
Resigniert ließ sie sich auf das Kissen zurücksinken. In diesem Land ging alles schief!
Sie blickte auf die Uhr. Viertel nach sieben. Lucy fragte sich, wie oft Selina, die wie ein Murmeltier schlief, zu spät zur Arbeit gekommen sein mochte, ehe sie sich den Radiowecker kaufte.
Zu Lucys Erleichterung schien niemand an dem schmelzenden Gesang des Tenors Anstoß zu nehmen, denn es rührte sich nichts. Vielleicht kam das daher, dass das Zimmer abseits des Geschehens lag. Es befand sich seitlich unter dem Dach, war eng und niedrig und hatte ein winziges, uraltes Badezimmer. Mazzardi schien nichts davon zu halten, seinen Angestellten anständige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Lucy blickte sich in dem schwachen Licht um, das durch die brüchigen Jalousien hereinfiel. So eine Art von Behausung war Selina nicht gewöhnt.
Wie überall, wo ihre Schwester auftauchte, herrschte auch hier ein Chaos. Kleider und Schuhe lagen überall verstreut, wo Selina sie fallen gelassen hatte, aus offenen Schubladen quoll Unterwäsche, und vor einem kleinen Spiegel waren Make-up-Utensilien verstreut.
Lucy seufzte. Wie sollte sie Selina in der kurzen Zeit helfen, die ihr hier blieb? Im Augenblick konnte sie überhaupt nichts tun. Heute musste sie wohl oder übel im Zimmer bleiben, ganz gleich wie es hier aussah. Das Radio spielte jetzt ein zartes Liebeslied, und Lucy verzichtete darauf, es auszuschalten.
Aber wenigstens die Jalousien würde sie öffnen, um die Sonne hereinzulassen.
Lucy schlug die Decke zurück und ging zum Fenster. Es war ein ungewohntes Gefühl, Selinas gewagtes schwarzes Satinnachthemd auf der Haut zu spüren, und Lucy kam sich darin fast etwas verrucht vor. Sie atmete auf, als sie die kleinen Fenster geöffnet und die Jalousien aufgestoßen hatte. Strahlender Sonnenschein flutete ins Zimmer, und für einen Augenblick genoss Lucy die warmen Strahlen. Dann spähte sie vorsichtig nach unten. Ihr Blick fiel auf Palmen, die inmitten von exotischen Pflanzen standen. Ganz in der Nähe, auf einem sonnenbeschienenen Innenhof, saßen Leute an kleinen Tischen beim Frühstück.
Lucy blickte von ihrem Aussichtspunkt hoch oben im Palazzo neidvoll auf die üppig gedeckten Tafeln, und ihr leerer Magen begann zu knurren. Unter ihr machte ein dunkelhaariger, elegant gekleideter Mann in einem schwarzen Anzug Anstalten aufzustehen, und Lucy zog sich hastig zurück.
Um sich von ihrem Hunger abzulenken, beschloss sie, sich zu beschäftigen. Sie würde das Zimmer aufräumen und Selinas Sachen durchgehen, um festzustellen, was sie notfalls anziehen konnte. Ihre eigene Bluse und der Rock fielen für die Unterredung mit Mazzardi aus, denn sie hatte beim Heraufschleichen über die dunkle Dienstbotentreppe die schmutzigen Wände gestreift, und die Sachen sahen entsprechend aus.
Ein hartes Pochen an der Tür ließ Lucy zusammenfahren. Man kam sie also schon holen, oder besser gesagt, Selina. Vorsichtig
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