BIANCA SPEZIAL Band 03
weinen.
Chad sprang so hastig auf, dass Hannah sich fühlte, als hätte man ihr im tiefsten Winter eine Decke vom Körper gezogen. Noch immer weigerte er sich, ihrem Blick zu begegnen.
„Chad?“, flüsterte sie erneut, diesmal drängender. Fühlte er sich etwa schuldig, weil sie sich mit dem schlafenden Baby im Zimmer geliebt hatten? Mit wachsender Furcht beobachtete sie, wie er sich Jeans und T-Shirt anzog. Dann nahm er seinen Rucksack und marschierte zur Tür.
„Chad!“, rief sie über Bonnys Geschrei hinweg.
Endlich begegnete er mit Reue und Verwirrung in seinen Augen ihrem Blick.
„Es tut mir leid, Hannah“, sagte er. Dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.
8. KAPITEL
Nachmittäglicher Sonnenschein strömte zum Fenster herein, kündete das Ende des Regenschauers an und ließ die Klimaanlage doppelt so hart arbeiten, um die sengende Hitze des Sommers davon abzuhalten, das kühle Motelzimmer in Beschlag zu nehmen. Lustlos lag Hannah neben Bonny auf dem Bett, in dem sie soeben mit Chad geschlafen hatte. Vergeblich versuchte sie, ihre quengelnde und weinende Tochter mit einer Puppe zu unterhalten. Anscheinend war sie nicht einmal zu einer so einfachen Aufgabe fähig.
Bonny rutschte an den Rand der Matratze. Hannah setzte sich auf und half ihr hinunter auf die Decke, die auf dem Fußboden ausgebreitet lag. Sie vergewisserte sich, dass nichts in Reichweite war, mit dem ihre neugierige Tochter sich in irgendeiner Form Schaden zufügen konnte.
„Wo steckst du, Chad?“, flüsterte sie mit einem Blick zur Uhr und dann zur geschlossenen Tür. Nach der Art und Weise, in der er sie verlassen hatte, wusste sie nicht, was sie mehr fürchtete: dass er für immer fort war oder dass er zurückkehrte.
Was hatte sie sich dabei gedacht, als sie ihren Gefühlen für ihn nachgegeben hatte? Gefühlen, für deren Überwindung sie ein einsames, langes Jahr gebraucht hatte. Offensichtlich hatte sie gar nicht gedacht. Andernfalls hätte sie diesen Fall nicht übernommen.
Chad würde sich niemals ändern. Vielleicht war er unfähig dazu angesichts des Kummers in seiner Vergangenheit. Sie hatte mehr in sein Verhalten interpretiert, als vorhanden war, und sich damit selbst getäuscht. Sie hatte gehofft, dass er sie eines Tages ebenso lieben könnte wie seine verstorbene Frau, und sich ihm wieder geöffnet, sich wieder in ihn verliebt – nur um erneut abgewiesen zu werden.
Geistesabwesend strich sie über die Bettdecke. Trotz allem wusste sie, dass Chad sich verändert hatte. Andererseits lag es vielleicht nicht an ihm selbst, sondern an Bonny, dass er irgendwie zugänglicher wirkte.
Rastlos trat Hannah an das Fenster und blickte hinaus auf den Parkplatz. Der Leihwagen war nicht zu sehen, ebenso wenig wie Chad. Wenn er nicht zurückkehrte, musste sie entscheiden, was sie als Nächstes tun sollte.
Wohin sollte sie gehen? Nach Hause? Es schien die einzig vernünftige Antwort zu sein. Nach Hause zurückkehren. Chad vergessen. Diesen Auftrag vergessen, der sich als gefährlicher erwies, als sie erwartet hatte. Seekers eröffnen und eine Umgebung schaffen, in der Bonny glücklich aufwachsen konnte.
Der kalte Luftzug der Klimaanlage vor ihren Beinen ließ sie erschauern. Aber was war mit den beiden Männern am Flughafen? Mit den FBI-Agenten in New York?
Sie trat zum Telefon auf dem Nachttisch, rief die Rezeption des Motels an und erkundigte sich, ob Nachrichten für ihr Zimmer eingegangen waren.
„Nein, Honey, tut mir leid, aber Ihr Mann hat nicht angerufen“, erwiderte Mrs. Browning bedauernd.
Hannah zuckte zusammen. Natürlich nahm Mrs. Browning an, dass sie und Chad verheiratet waren. Doch verheiratet würden sie niemals sein. Das hatte er deutlich genug klargestellt.
„Danke“, murmelte sie und legte den Hörer wieder auf.
Ein Rattern übertönte das dumpfe Summen der Klimaanlage. Hannah blickte zur Tür und sah, dass sich die Klinke bewegte. Hoffnung ließ ihr Herz höher schlagen. Sie öffnete die Tür. Doch es war nicht Chad, dem sie sich gegenübersah.
Sie wich zurück und starrte die Person an, die sie am wenigsten erwartet hätte. „Was willst du denn hier?“
Chad hängte den Hörer ein, riss eine Seite aus dem Telefonbuch, faltete das hauchdünne Papier zusammen und steckte es sich in die Jeanstasche. Dann nahm er seinen Rucksack und verließ die Telefonzelle.
Eigentlich hatte er nicht beabsichtigt zu arbeiten, als er das Motelzimmer und Hannah zwei Stunden zuvor verlassen hatte.
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