Bienensterben: Roman (German Edition)
es ihm die Seele klaut. Nachdem er mit Heroin aufgehört hatte, hat er dauernd über Seelen und Hühnersuppe und neue Wege gefaselt, eine Zeit lang war er ziemlich verkopft unterwegs und hat sich ernsthaft als clean betrachtet, auch direkt nach einem Ticket oder wenn er gerade eine Temazepam eingeworfen hatte, und sogar Valium gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Losern, die immer noch hinter dem nächsten Schuss herhechelten. Von Crystal Meth konnte er die Finger eigentlich nie lassen, praktisch alles, was er nicht drückte, gab ihm das Gefühl, er würde eigentlich gar keine Drogen nehmen. »Ich mache es ja nur gelegentlich«, hat er immer gesagt. »Bei jeder Gelegenheit« trifft es wesentlich besser. Ich hab ein paar Mal was angeboten bekommen, man kommt leicht dran, besonders in meinen Kreisen, und sie wissen auch immer genau, wer eine Schwäche für das Zeug hat, genau wie die Zeugen Jehovas oder die Hare Krishnas, wenn sie nach deinen traurigen Geschichten bohren, dir stundenlang zuhören und dir Honig ums Maul schmieren, aber nicht, weil sie dir helfen oder dich retten wollen, sondern um dich in Besitz zu nehmen, zu kontrollieren. Drogendealer arbeiten genauso. Umgarnen dich. Sind interessiert und achten total auf deine Bedürfnisse, jedenfalls so lange, bis du süchtig bist. Ab und zu nehm ich E, und auch hier und da mal ein paar Benzos, aber das war’s, und es ist gar nicht so übel; auf E ist für fünf Minuten alles ziemlich gut, aber dann verpufft das Gefühl und du kommst so scheiße drauf, dass du nur noch sterben willst – oder vielleicht zu den Hare Krishna gehen und von morgens bis abends Gott anbeten.
An Gott denk ich oft in letzter Zeit, und ich frag mich, ob er Kindern in Not hilft oder ob er sie bestraft. Ich hätte Gene bremsen sollen, als ich noch die Chance hatte, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich die je hatte, aber manchmal glaub ich schon. Ich hätte irgendwas zu Izzy sagen sollen, hab ich aber nicht, sie hätte mir eh nicht geglaubt und gar nicht erst zugehört. Sie hat ja nicht mal, als ich das Schloss in meine Tür eingebaut hab, gefragt, warum. Angefasst hab ich ihn zum letzten Mal, als wir ihn beerdigt haben. Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass er es auf Nelly abgesehen haben könnte, wir sind so unterschiedlich.
Nelly
Grammy las uns immer unglaubliche Geschichten vor, hatte einen echten Sinn fürs Dramatische. Sie war eine Dame, vielleicht eine Herzogin. Trank bitter riechende Säfte, gesüßt mit Limettensaft und Zucker. Rührte mit heißen Löffeln und Gabeln schnell darin.
Eine anmutige Frau, unsere Grammy, wie sie selbst sagte. Trug das Alter wie Kaschmir, und ihr Duft wehte ihr nach wie ein Tuch und Geflüster, wo immer sie hinging, ganz im Gegensatz zu unserer Mutter, sie bevorzugte enge Sachen und bunte Getränke, die sie mit einem Strohhalm schlürfte.
»Eine ordinäre Person«, sagte Grammy. »Ungehobelt. Grotesk. Wie ich die Quäkstimme dieser Frau hasse.«
Grammy hatte eine klare Stimme. Sie las das Leben von Karten mit Festungen und Kaisern, Rittern und Königinnen. Sie prophezeite mir die Zukunft. Ich solle keine Angst haben, sagte sie. Ich sei »in Besitz des Lichts und zu Höherem bestimmt«.
Grammy redete von Verlorenem, Altem, von dem, worauf wir uns besinnen sollten, wenn es schwer ist zu lieben, wenn man spielen sollte.
»Die Musik ist ein Fest der Liebe«, sagte sie zu mir.
Das waren ihre Worte.
Lennie
Sie sind verreist. Die Eltern. Über Weihnachten, wenn man das glauben kann. Weiß der Himmel, wo sie stecken. Letztes Mal waren sie drei Wochen weg. Diese Mädchen sind zu jung, um allein zu bleiben, sie sind noch Kinder und doch keine Kinder mehr. Die Ältere sitzt fast jeden Abend hinten im Garten, meist raucht sie. Raucht und starrt ins Nichts. Manchmal will man ihnen die Hand reichen, aber man wagt es nicht. Wahrscheinlich bekämen sie Angst. Ihre Eltern haben ihnen sicher gesagt, was von uns zu halten ist. Wir sind jetzt seit zwei Jahren Nachbarn, und trotzdem nicht mal ein müdes Lächeln. Aber ich mache ihnen keinen Vorwurf. Ich bin der schwarze Mann hier in der Gegend, jeder kennt mich. Schämen würdest du dich für mich, Joseph, in Grund und Boden schämen.
Marnie
Gene hat das eingefädelt, dass ich bei Mick im Eiswagen arbeite, bloß dass er nicht nur Eis verkauft. Er verkauft Drogen. Jedenfalls hat Gene ihm Geld geschuldet, und deshalb hab ich bei ihm angefangen, um die Schulden abzuarbeiten. Nicht dass das falsch
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