Bienensterben: Roman (German Edition)
deines Vaters gegeben. Vielleicht möchte sie sie einem ihrer Jungs geben, dachte ich mir. Der Anstand hat sie erst spät im Leben erreicht. Sie ließ mich alle Entscheidungen über deine Pflege treffen. Nachdem ich die Einverständniserklärung unterschrieben hatte, nahm sie meine Hand. Sie wusste, dass du jetzt zu mir gehörst, und sie wusste, was ich verliere, was wir beide verloren. Wir saßen einander gegenüber und warteten darauf, dass du von uns gehst, und als wir deinen Puls auf dem Monitor langsamer werden sahen, hielt sie dich ebenso fest wie ich.
Es ging schnell, als es für dich so weit war, die schonungslose Beschleunigung; dein Blut kam zum Stillstand, dein Atem sank wie eine Schwalbe. Ich hielt dich fest umklammert in diesem Moment, versuchte wie erstarrt, dich an ein welkendes Leben zu binden, verankert in Stille, aber du entzogst dich mir und eine friedliche Ruhe erfüllte den Raum, eine Güte, die dich kurz an sich zog und dann losließ. Der Abschied eines Gentlemans.
Zur Beerdigung kamen nicht viele. Alle, die wir kennen, sind entweder tot oder im Altersheim. Ich natürlich, deine Schwester und ihr Sohn, nicht der im Gefängnis, sondern der Große mit der schwarzen Freundin, Belle heißt sie, aber wie heißt er? Das kann ich mir nie merken. Der Knacki heißt Edward, aber der Blonde? Ein hübscher, stattlicher Bursche, John oder Jo, oder war es James? Doch, ich glaube, James. Jedenfalls meinten sie, ich solle mal zum Abendessen zu ihnen kommen, aber gemeldet haben sie sich nie. Sylvie hat ihnen sicher von der Sache im Park erzählt.
Das Ekel Albert glänzte durch Abwesenheit. Wenn er jemanden hasst, dann bis in den Tod. Er weigert sich einfach, die Beziehung von James und Belle anzuerkennen, dabei erwarten sie im März ihr erstes Kind und sein erstes Enkelkind. Sylvie glaubt, dass er sich dann mal blicken lässt, aber darauf pfeifen die beiden. Sie nehmen Albert gar nicht mehr ernst.
Sylvie und Albert feiern bald ihre Rubinhochzeit, unten im Bowling Club.
Im März wäre auch unser vierzigster Jahrestag gewesen, und ich will ihn feiern, auch wenn du das nicht gutgeheißen hättest. Ich werde sechs Rosen aus unserem Garten mitbringen und auf dein Grab stellen. Ich werde eine Flasche Champagner kaufen, teuren Champagner, und sie bei dir öffnen, und dann werde ich sie trinken und vielleicht dabei weinen. Wer vorbeikommt, wird nur einen alten Mann in einem Wollmantel sehen, mit einer armseligen Mütze, die ihm den Schädel wärmt. Die Leute werden annehmen, Joseph William Grant ist mein Bruder, oder vielleicht ein Cousin oder ein Freund, aber wahrscheinlich eher ein Verwandter. Sie werden die Situation völlig missverstehen, weil sie es nicht anders wollen, aber falls irgendjemand fragt und sich erkundigt, ob irgendetwas nicht stimmt, dann sage ich es ihm. »Nein, alles in Ordnung«, werde ich sagen, »mein Geliebter ist tot. Er hieß Joseph, und heute wäre unser vierzigster Jahrestag gewesen.«
Dann werde ich angesäuselt nach Hause gehen und mich ans Klavier setzen. Ich werde Weihnachtslieder spielen und ein bisschen Mozart, alles, was du mochtest. Dann werde ich einschlafen und neben einem Hund aufwachen. Er ist der Einzige, den ich noch habe.
Nelly
Sobald die Musik verstummt, bewegen sich die Gardinen, das Netzgewebe wird gezupft und gezogen. Er steht hinter den Fenstern und beobachtet uns, in einer warmen wollenen Strickjacke. Beim Gießen, Stutzen und Abzupfen lässt er uns nie aus den Augen, aber ich sehe ihn. Er weiß das nicht. Niemand weiß das, aber ich werde ihn erwischen. Ich werde diesen Kerl erwischen.
Lennie
Kontakt zur anderen Seite aufgenommen. Zu der Jüngeren hauptsächlich. Nelly heißt sie. Ich mag sie. Sie ist so ein nettes Mädchen, drückt sich angenehm aus und riecht nach Vanille und frischer Wäsche, anders als die Ältere, deren Gerüche einem so jungen Menschen nicht anstehen, wenn man mich fragt. Marnie ist ihr Name, ein sehr direktes junges Fräulein. Sie hat mich sofort auf meine Vergangenheit angesprochen.
»Und du bist pervers?«, fragte sie. »Behaupten hier nämlich alle.«
Ich habe ihr die Wahrheit gesagt. Was hätte ich sonst machen sollen? Lügen ist zwecklos. Es weiß sowieso jeder Bescheid. Seltsam, sie hat es einfach so akzeptiert. Offenbar lebt sie in einer Welt, in der solche Dinge möglich sind. Ihre grünen Augen haben schon zu viel gesehen. Ich finde es traurig für das Mädchen; alles Frische und Ehrliche wurde ihr von knurrenden Hunden aus
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