Bilder von dir: Roman (German Edition)
Eugene in Zimmer 420 untergebracht war, woraufhin sie die Augen verdrehte, was wiederum Oneida das Gefühl gab, einen Scherz verpasst zu haben. Jetzt stellten sich die Härchen ihrer Arme elektrisiert auf.
Der Aufzug hielt mit einem dumpfen Klonk . Die Tür teilte sich.
»Verzeihung, die Besuchszeit ist vorbei.«
Oneida hatte nicht das Gefühl, dass die Stimme sie beide ansprach, begriff nicht einmal, was geschah, als Dani sie fest in den Unterarm zwickte, woraufhin sie mit einem Ruck in den Aufzug sprang. Sie stützte sich gegen die sich bereits schließende Tür. Dani sah sie finster an. Jetzt geh schon , sagte der finstere Blick. Geh jetzt, Blödie .
Ein Mann in der dunklen Uniform eines Wachmanns kam auf sie zu. Die Stimme, die zu einer Frau hinter einer Empfangstheke gehörte, die Oneida beim Vorbeigehen gar nicht bemerkt hatte – sie war beige wie die Stimme und beide vermischten sich mit der flüssigen Luft – wiederholte ihre Worte noch einmal. Wollte eine Erklärung hören. Wandte sich jetzt eindeutig nur an Dani.
Der Wachmann war jung. Er hatte strahlend blaue Augen, wie Babys sie anfangs haben, bevor sie dunkler werden.
»Ich muss Sie leider bitten zu gehen«, sagte er mit ruhiger Stimme zu Dani. »Dies ist ein Krankenhaus, keine Halloweenparty.«
Dani schnaubte und schrie: » Schöne Manieren sind das, Babe!« Dann sah sie Oneida eindringlich an (geh, geh, geh) und Oneida begriff: Dani war als Planerin unmöglicher Einsätze viel zu gewieft, um davon auszugehen, dass sie in einem Schwesternkostüm an den Sicherheitskräften vorbeikam. Der ganze Plan war ursprünglich auf Dani allein zugeschnitten gewesen: Sie hatte vorgehabt, die Arztklamotten zu tragen und nach den Besuchszeiten hinter die Baumwollvorhänge zu flitzen, um den Jungen zu besuchen, den sie zu lieben glaubte (und damit diese Liebe unter Beweis zu stellen, wie Oneida vermutete). Aber dann hatte der heutige Tag alles verändert, und Dani – die Oneida hatte wählen lassen, was sie anziehen wollte, eine Wahl, die Oneida nunmehr als eine Art finalen Test ansah – opferte sich. Machte den Platz frei und gab ihren Plan zugunsten einer Freundin auf (um damit tatsächlich ihre Liebe unter Beweis zu stellen). Das Schwesternkostüm war Danis Trick gewesen, um Oneidas Vertrauen anzustacheln, sie zu überzeugen mitzukommen, weil sie allein nicht gehen würde. Und ob sie es nun für Eugene oder für Oneida getan hatte, darauf kam es nicht an. Sie hatte es getan. Sie hatte es für sie beide getan.
»D…«, war alles, was Oneida noch sagen konnte, bevor zwischen ihnen die Aufzugtüren zugingen.
Sie war den Tränen nah, als die Türen sich im vierten Stock wieder öffneten. Sie fühlte sich schrecklich: schrecklich allein, schrecklich dankbar, schrecklich, weil sie eine derart inszenierte Freundlichkeit nicht verdient hatte, schrecklich schuldig, weil sie überhaupt erst dafür gesorgt hatte, dass Eugene Wendell ins Krankenhaus musste.
Warum nur hatte sie diese verdammten Schuldgefühle, überlegte sie, als sie den nur schwach erleuchteten Korridor betrat. Schließlich hatte sie den Stein nicht geworfen. Sie hatte auch den Streit nicht begonnen. Die offenen Türen zu den Patientenzimmern klafften wie fehlende Zähne, unsichtbare Bewohner murmelten und zappelten und schnarchten und rochen schwach nach Menthol und Bleichmittel. Welche Station war das? Jedenfalls nicht die Intensivstation, überlegte sie; hier hatte man nicht das Gefühl von Eile, hier herrschten Ruhe und Aufmerksamkeit. Oneida kam am Schwesternzimmer vorbei. Die Schwester grüßte sie mit einem Kopfnicken und wandte sich dann wieder ihrer Lektüre zu. Sie trug einen weißen Kittel, der mit regenbogenfarbenen Ballons bedruckt war.
Das war die Kinderstation.
Eugene war noch ein Kind. Nur ein Kind wie sie – nur ein Kind wie ihre Mutter. Und wie Mona.
Oneidas Füße bewegten sich schneller. Zimmer 420 war das vorletzte und seine Tür genauso dunkel und anonym wie alle anderen, an denen sie vorbeigekommen war. Sie betrat Eugenes Zimmer, wo sie sich sofort an die Wand lehnte und ihre Augen schloss, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, denn so weit im Voraus hatte sie nicht geplant. Sie schnupperte. Sog die scharfen sauberen Krankenhausgerüche ein und dazu noch etwas, etwas, das sie fast benennen konnte, etwas Vertrautes. Sie öffnete die Augen und sah einen Jungen, den sie nicht kannte, in einem Bett liegen.
Oneida blinzelte. Es war keine Täuschung des Lichts oder
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