Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Trommelschlag ein gnädiger Pardon den diesem Soldatenjammer entlaufenen Landeskindern verkündigt wurde. Nicht selten fand auch auf diesem Platze die leidige Exekution eines Spießrutenlaufens statt, oder konnte man aufgerichtete Galgen bewundern, an denen die Namen Desertierter angeschlagen waren.
Die bedeckten Gänge unter den Häusern des Marktplatzes waren zu jeder Jahreszeit ein bequemer Spielplatz für die Jugend, wo allein der oberste Teil desselben, die gegen das Rathaus schauende linke Ecke (nun eine Apotheke), für uns Knaben oft gefährlich war. Hier hatte ein alter, in seinem ganzen Wesen eigentümlicher Italiener, Namens
Minoni,
seinen Spezereiladen und nebenbei in den Arkaden einen großen Hühnerstall.
Alle Abende sah man ihn zur Sommerszeit mit seiner alten bald hundertjährigen Schwester in seinen entfernten Garten fahren. Dieselbe sah man nie, ohne daß sie auf dem Schoße ein uraltes Hündchen barg. Am Chaischen war ein fünfzigjähriger, kaum mehr beweglicher Rappe angespannt, dessen Schweif und lange Mähnen altersgrau waren, während ein ebenfalls uralter Ladendiener,
Pietro Morano,
den Laden und die Hühner hütend zurückblieb, die uns im Raume der Arkaden spielenden Knaben oft zur Übung unseres Mutwillens dienten. Kamen wir mit unseren Spielen in ihren Bereich, und flatterten sie aufgestört mit Geschrei davon, so kam der ergrimmte Morano mit aller Wut auf uns los. Aber je wütender er ward, je neckender und wagender wurden wir Knaben. Sobald er wieder in seinen Laden zurückgekehrt war, standen wir wieder ihn zu erwarten da; der neue Angriff und abermaliges Entfliehen begann, das sich den Tag über zur Zeit unserer Muße öfter wiederholte, und eigentlich auch zu unsern Spielen und damaligen Turnübungen gehörte.
Zum Spiele, Drachen steigen zu lassen, war dieser große Marktplatz und das windige Ludwigsburg auch sehr geeignet. Mancher Drache aber fand seinen Untergang an den Kränzen der beiden Stadtkirchentürme, wo wir sie dann den ganzen Sommer durch, an den Schwänzen aufgehängt, bewunderten.
Wir wetteiferten mit einander, solche Drachen in den verschiedensten Formen zu machen. Drachen, die auf der Erde die Größe eines Mannes überboten, hatten in der Höhe kaum die Größe einer Schwalbe, auch wußten wir solche zu verfertigen, die im Steigen und in der Luft brummende Töne von sich gaben, ein Spiel, das ich noch im Alter zu Weinsberg auf meinem Turme fortsetzte.
Wie im Großen und in natura, so dienten mir diese Stadttürme mit ihrer Kirche auch nachgemacht und im Kleinen oft zum Spielzeuge. Mehr die Arbeit eines Schreiners als eines Steinhauers scheinend, wurden sie auch sehr oft von Schreinern als Kinderspielzeug in Holz gebildet, so auch die Garnisonskirche und die Hauptwache auf dem gleichen Platze.
Sie brachte mir einmal der von mir so gefürchtete Mann, der ehemalige Organist dieser Kirche, der Dichter
Schubart,
in einer Schachtel zum Geschenk aus Stuttgart mit, wodurch meine Furcht vor ihm nach und nach verschwand.
Es ist mir auch noch wie ein Traum, daß ich die letzte späteste Lieferung der von dem Herzog Karl an Holland verkauften, nach dem Kap bestimmten Truppen, unter dem Gesange des schönen Liedes von
Schubart:
»Auf, auf ihr Brüder, und seid stark!«
die Schloßallee hinabziehen sah.
Noch lebendiger aber erinnere ich mich eines andern Zuges – des nächtlichen Leichenzuges des Herzogs zur Gruft seiner Väter im
Corps de Logis
des Schlosses. Wachskerzen und brennende Pechkränze waren von dem Tore an, durch das man von Stuttgart kommt, bis zur Schloßkirche aufgestellt. Durch diese ging der Zug mit der Leiche des Herzogs, von acht schwarzbehängten Schimmeln gezogen, gefolgt von Wagen, Trabanten und Reitern, aber nicht langsam und feierlich, sondern unbegreiflicherweise rasch, dem Dunkel zu, in dem aller Erdenglanz auf immer erlischt.
Der zum Himmel aufwirbelnde Rauch der Wachsfackeln und Pechkränze bildete, wie mir noch wohl im Gedächtnis steht, hoch über den Alleen, dem Schlosse und den Häusern der Stadt, in dem erhellten Nachthimmel die sonderbarsten Gestalten, gleichsam einen gespenstischen Zug, mit dem mir der Geist des Herzogs über seiner Leiche zu schweben schien. Später, als nach der Regierung des Herzogs Ludwig eine große Stille eintrat und die Räume des Schlosses sehr verlassen standen, gebrauchten wir Knaben gerade oft jenen Teil des
Corps de Logis
des Schlosses, wo die Gruft sich befindet, zu unsern Soldatenspielen, und blickten
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