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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens
Autoren: Dörthe Binkert
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helfen
     zu wollen. Verdingkinder gab es überall in der Schweiz, das wusste er inzwischen, Tausende, deren Los vermutlich nicht minder
     schrecklich war.
    Nun gut, überlegte Robustelli, der den Menschen gerecht werden und vorschnelle Schlüsse vermeiden wollte, Segantini war bereits
     früher auf sie aufmerksam geworden. Und sie teilte mit ihm das Schicksal, von den Eltern verlassen worden zu sein. Sein, Achilles,
     eigenes Leben war vielleicht zu behütet gewesen, als dass er sich vorstellen konnte, welche Wunden das in eine junge Seele
     schlug. Aber dennoch   … Andrina gefiel ihm besser. Ihm war die junge Frau zu mager. Bemerkenswerte Augen hatte sie, das war wahr. Ihre Haare, die
     Segantini hervorgehoben hatte, sah man nicht, sie waren unter einer Haube verborgen, wie die Wäscherinnen im Haus sie trugen.
    Robustelli schaute Nika nachdenklich an. Wo sollte er ein Mädchen hinstecken, das nicht sprach?
    Er griff nach der »Neuen Bündner Zeitung«, die auf seinemSchreibtisch lag und hielt sie Nika vor die Nase. »Verstehst du, was hier oben steht?«, fragte er.
    Nika zog die Augen leicht zusammen und schien sich zu konzentrieren. Aber zu welchem Ergebnis auch immer sie kam, sie schüttelte
     schließlich den Kopf. Eine schöne Aufgabe hatte ihm der gute Segantini da aufgebürdet. Als Küchenhilfe würde er sie nicht
     öfter zu Gesicht bekommen als in der Waschküche, und für den Umgang mit Gästen war sie nicht zu gebrauchen, ohne die geringste
     Bildung und stumm wie ein Fisch.
    Nika stand noch immer wartend da. Sie hatte keine Ahnung, worum es überhaupt ging, und das wurde nun auch Achille Robustelli
     bewusst.
    »Es hat sich jemand dafür verwendet, dass du eine andere Arbeit im Hotel bekommst«, sagte er freundlich, »und ich versuche
     herauszufinden, wofür du taugen könntest.«
    Nika schaute ihn zuerst verwundert an, dann lächelte sie ein Lächeln, das Signore Robustelli umdenken ließ: Denn ihr Lächeln
     war bezaubernd, scheu und strahlend zugleich, als bräche plötzlich die Sonne zwischen den Wolken hervor und schenke Licht
     und zarte, farbige Schatten, wo vorher nur Grau gewesen war.
    Dieser Gedanke brachte ihn auf eine Idee. Sie konnte draußen arbeiten! Gaetano, der Gärtner, konnte eine Hilfe gebrauchen
     und sie gleichzeitig anlernen, denn ewig würde der Alte auch nicht arbeiten. Und der Maler konnte das Mädchen sehen, wann
     immer er wollte.
    »Also«, sagte er zufrieden, »ich denke, wir haben eine Lösung. Sag der Giuseppina, wir brauchen dich anderswo, und wegen einer
     neuen Wäscherin soll sie sich mit der Gouvernante besprechen   …« Er unterbrach sich. »Ich werde mit der Gouvernante sprechen. Morgen früh gehst du gleich zu Gaetano, dem Gärtner. Ich rede
     heute noch mit ihm undauch mit der Gouvernante. Du bist doch gesund und kannst Gartenarbeit verrichten?«
    Wieder ging ein Strahlen über Nikas Gesicht, ehe das Leuchten sich vorsichtig wieder verbarg. Er konnte ja nicht wissen, wie
     sehr sie die Natur liebte. Sie betrachtete Tiere, Pflanzen so genau, dass sie sie aus dem Kopf zeichnen konnte, wenn sie einen
     Fetzen Papier und vor dem Einschlafen die Ruhe dazu fand.
    Sie sah Achille Robustelli an, als sei ein Heiliger vom Himmel oder ein Held vom Pferd gestiegen, und der entschied beflügelt,
     nach dieser eleganten Lösung augenblicklich eine weitere Entscheidung in die Tat umzusetzen.
    »Dann geh jetzt«, sagte er zufrieden und drehte wieder an seinem Ring, als könne er hier und da tatsächlich zaubern.
     
    »Zwei Dinge, Andrina. Das Mädchen, das du mir für die Wäscherei gebracht hast, brauche ich an anderer Stelle. Sie wird Gaetano,
     dem Gärtner, helfen. Zweitens«, er sah, wie sie gespannt die vollen Lippen spitzte, und kostete den Moment aus, wie sie da
     so erwartungsvoll vor ihm stand. »Zweitens habe ich mit der Gouvernante gesprochen. Sie hat sich lobend über dich geäußert.
     Obwohl du noch jung bist und noch nicht viel Erfahrung hast« – er hing dem Gedanken einen Augenblick nach   –, »stellst du dich offenbar geschickt an und hast einen höflichen Ton mit den Gästen. Signora Capadrutt meint, du seist ehrgeizig
     genug, um dich im Hotel hochzuarbeiten. Das dauert natürlich seine Zeit, und außerdem ist Signora Capadrutt eine strenge Vorgesetzte.
     Aber es freut dich vielleicht zu hören, dass wir deinen Einsatz durchaus bemerken und ich dich fördern will, wenn du so weitermachst.
     Wenn wir in der nächsten Saison die Zimmer neu belegen,
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