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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens
Autoren: Dörthe Binkert
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hast du gute Aussichten, ein Einzelzimmer zu bekommen. Und eine anspruchsvollere
     Arbeit.« Er sah Andrinamit Wohlgefallen an. »Wenn du dich weiter anstrengst, wie gesagt.«
    Daraufhin öffnete Andrina ihren roten Kirschenmund und sagte sanfter als es sonst ihre Art war: »Danke, Signore Robustelli.
     Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich werde Sie nicht enttäuschen.«

Spiele und Spielregeln
    James Danby war ein sehr guter Tennisspieler, und wenn er die unerschrockene Dame richtig einschätzte, die er im Park getroffen
     hatte, war auch sie am sportlichen Ballwechsel in ihren Gesellschaftskreisen mehr interessiert als an der Erkundung landschaftlicher
     Besonderheiten. Außerdem schien ihr Mann schon ein bisschen älter zu sein, und es bestand Hoffnung, dass er per Telegraf und
     Telefon Geschäfte abwickelte, während seine Frau mit anderen Gästen Golf oder Tennis spielte.
    Er hatte Glück. Sie nahm eine Stunde und flirtete mit dem Tennislehrer, entdeckte James aber schneller, als er erwartet hatte,
     und er fühlte sich geschmeichelt, als sie das Spiel unterbrach, die Hände wie einen Trichter vor den Mund hielt und rief:
     »In zehn Minuten kann ich an Ihnen ausprobieren, was ich gerade gelernt habe! Aber eine Limonade, bevor wir unsere Kräfte
     messen, wäre herrlich!«
    Er verstand den Wink. Beflügelt von der Aussicht, sie in wenigen Runden zu schlagen, kam er wenig später mit einem großen
     Glas Limonade zurück.
    Sie nahm ihm das kühl beschlagene Glas aus der Hand, nippte daran und sagte strahlend: »Danke! Sie retten mich vor dem Verdursten!
     Obwohl eine Orangeade fast noch schöner gewesen wäre.« Ehe er überlegen konnte, ob er etwas falsch gemacht hatte, nahm sie
     ihn fröhlich beim Arm und fuhr fort: »Kommen Sie. Ich möchte Sie schlagen, jetzt gleich. Der Tennislehrer war sehr zufrieden
     mit mir.«
    Das Spiel war kurz. James war sportlicher, als er aussah. Den blauen Augen seiner Gegenspielerin war nicht zu entnehmen, ob
     ihr seine Schnelligkeit oder sein intelligentes Spiel Eindruck machte. Die Dame – sie hieß Kate Simpson, wie er inzwischen
     wusste – wischte sich über die Stirn.
    »Sie sind kein Gentleman, mein Lieber. Wussten Sie nicht, dass ein Gentleman die Dame immer gewinnen lässt? Und zwar so, dass
     es niemand bemerkt?«
    Aber schon lachte sie unbekümmert, und James nickte nur, als sie sagte:
    »Ich habe einen Bärenhunger. Begleiten Sie mich ins Restaurant? Ich bin mit meinem Mann und ein paar Freunden zum Lunch verabredet,
     ich würde Sie gern vorstellen. Ein so gut aussehender Mann ist wirklich keine schlechte Trophäe   …«
    Sie ergriff seinen Arm und zog ihn zu den Umkleideräumen.
    »In zehn Minuten erwarte ich Sie vor dem Eingang, ja?« Sie schenkte ihm einen Blick aus ihren blauen Augen, der einer Kusshand
     gleichkam, und war schon verschwunden.
    Sie ist blitzschnell und hat Witz, durchaus keine langweilige Gesellschaft, dachte James, und sie war genau das, was er brauchte,
     um St. Moritz erträglich zu finden, wenngleich sie wohl ein bisschen verwöhnt war. Aber sie war es auf amüsante Weise. Und
     sie war hübsch.
    Er sah auf seine Taschenuhr. Wo sie nur blieb? Er stand sich nun schon zwanzig Minuten die Beine in den Bauch, die Mittagssonne
     brannte, Schweiß sammelte sich unter dem Rand seines Strohhutes. In die Umkleidekabinen der Damen konnte er nicht hinein,
     wegzugehen wäre unhöflich gewesen.
    Sie kam genau in dem Moment heraus, als er des Wartens endgültig überdrüssig war und sich zum Gehen wandte.
    »Das ist nicht nett!«, rief Ms. Simpson gut gelaunt, »sich so davonzuschleichen.«
    Diesmal konnte James einen Anflug von Unmut nicht unterdrücken, als er antwortete: »Ich erwarte Sie schon eine ganze Weile.«
    »Ach, ich habe nur etwas gesucht, aber nun ist alles gut. Lassen Sie uns gehen. Wir müssen aber noch eine kleine Reise unternehmen.«
     Sie nahm ihn am Arm und zog ihn mit sich fort. »Mein Mann und ich wohnen im Hotel Kursaal Maloja, und die anderen warten dort
     auf mich. Wir nehmen einen Wagen, in einer halben Stunde sind wir dort. Kommen Sie schon!«
    James war sich nicht ganz sicher, ob er noch Lust auf einen Lunch mit ihr hatte, aber nun war es zu spät, sich aus dem Staub
     zu machen.
    ***
    »Bist du eigentlich verliebt in ihn?«, fragte Betsy ihre Nichte und fächelte sich mit dem Telegramm, das der Kellner eben
     an den Tisch gebracht hatte, Kühlung zu. Mathilde haschte danach, doch ihre Tante hielt den Umschlag fest.
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