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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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weil ich mich meiner Vorfahren nicht würdig fühlte, die sich geschämt hätten, aus der Pflicht ein Vergnügen zu machen; du hast mir Weidenblätter auf die Stirn und die Tränenspur geklebt, unten am Flußufer, wo meine Füße Schilfrohr berührten, Flaschen mit Sommerfrischlergrüßen an die Bewohner; woher kamen alle die Schuhcremedosen, waren sie für die blanken Stiefel ausgehbereiter Matrosen, für die schwarzen Einkaufstaschen der Schifferfrauen, für die blanken Mützenschirme bestimmt gewesen, die im Dämmer blitzten, als wir später in Trischlers Cafe auf den roten Stühlen saßen? Ich bewunderte die herrlichen Hände dieser jungen Frau, die uns gebratenen Fisch brachte, Salat, der so grün war, daß mir die Augen schmerzten; Wein; die Hände dieser jungen Frau, die achtundzwanzig Jahre später den Rücken meines zerschundenen Sohnes mit Wein wusch; du hättest Trischler nicht anbrüllen sollen, als er anrief und von Roberts Unfall erzählte; Hochwasser, Hochwasser, immer hat es mich gelockt, mich
    hineinzuwerfen und auf den grauen Horizont zutreiben zu lassen. Tritt ein, bring Glück herein, aber küß mich nicht; zerstöre nicht mein Schiffchen; hier ist Kaffee, süß und heiß, Nachmittagskaffee, stark und ohne Milch, hier sind Zigarren, Sechziger, Huperts hat sie mir besorgt. Wechsele die Optik deiner Augen aus, Alter, ich bin ja nicht blind, nur verrückt und kann wohl lesen, welches Datum da unten in der Halle auf dem Kalender steht: 6. September 1958; blind bin ich nicht und weiß, daß ich dein Aussehen nicht der Geschicklichkeit der Friseure zuschreiben kann; spiel mit, schraube die Optik deiner Augen zurück und erzähl mir nicht wieder von deinem strahlenden blonden Enkel, der das Herz seiner Mutter und den Verstand seines Vaters hat und beim Wiederaufbau der Abtei als dein Beauftragter fungiert; hat er das Abitur bestanden? Wird er Statik studieren? Macht jetzt sein Praktikum? Verzeih, daß ich lache; ich habe Bauwerke nie ernst nehmen können; Staub, zusammengebacken, konzentriert, zu Struktur verwandelter Staub; optische Täuschung, Fata morgana, dazu bestimmt, Trümmer zu werden; der Sieg wird erkämpft, nicht geschenkt; ich hab's heute morgen in der Zeitung gelesen, bevor sie mich wegbrachten. ›Jubelwellen brandeten hoch - voll gläubigen Vertrauens lauschten sie den Worten - immer wieder brandeten Jubel und Begeisterung hoch.‹ Soll ich's dir aus der Lokalzeitung vorlesen?
    Deine Enkelschar, nicht siebenmal sieben, sondern zweimal eins, einmal zwei, sie werden keine Privilegien genießen, ich hab's Edith, dem Lamm, versprochen; sie sollen nicht vom Sakrament des Büffels essen, und der Junge lernt das Gedicht für die Schule nicht.
    Lob jeden Hieb, den uns das Schicksal schlägt, weil Not verwandte Seelen ähnlich prägt...
    Du liest zuviel überregionale Zeitungen, läßt dir den Büffel, süß oder sauer, paniert und in Gott weiß welchen Saucen servieren; du liest zuviel gepflegte Zeitungen - hier, im Feuilleton des Lokalblättchens kannst du den wahren, echten Dreck jeden Tag schlucken, unvermischt und unverfälscht, so gut gemeint, wie du es dir nur wünschen kannst; die anderen meinen es nicht gut, die sind nur feige, deine überregionalen, aber hier, das ist gut gemeint; keine Privilegien bitte, keine Schonung; hier, das ist an mich gerichtet: ›Mütter der Gefallenen... Und ob ihr auch des Volkes Heilige seid, gleich euren Söhnen eure Seele schreit...‹; ich bin des Volkes Heilige, und meine Seele schreit ; mein Sohn ist gefallen: Otto Fähmel; anständig, anständig, Ehre, Treue; er verriet uns an die Polizei, war plötzlich nur noch die Hülle unseres Sohnes; keine Schonung, keine Privilegien; den Abt haben sie natürlich geschont, er hat doch davon gekostet, anständig, ordentlich, Ehre; es wurde mit fackeltragenden Mönchen gefeiert, oben auf dem Hügel, mit Blick ins liebliche Kissatal, die neue Zeit brach an, Opferzeit, Schmerzenszeit, und sie hatten wieder ihre Pfennige für die Brötchen, ihren halben Groschen für ein Stück Seife; den Abt wunderte es, daß Robert sich weigerte, an der Feier mitzumachen; sie ritten auf dampfenden Rossen den Hügel hinauf, zündeten Feuer an: Sonnenwende; Otto durfte den Holzstoß anzünden, er stieß die brennende Fackel ins Reisig, die gleichen Lippen, die das rorate coeli so wunderbar singen konnten, sangen, was ich den Lippen meines Enkels fernhalten will: Es gittern die morschen Knochen - zittern deine noch nicht, Alter?
    Komm,

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