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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Traumkabinetten der Zukunft mit dem neunundzwanzigsten Urenkel auf dem Arm gesehen. Fortpflanzen, fortpflanzen; das wird ein traurige Feier geben: nur ein Sohn, der blonde Enkel, die schwarzhaarige Enkelin, die Edith dir schenkte, und die Mutter der Sippe im verwunschenen Schloß, nur über unendlich lange Leitern mit Riesensprossen erreichbar.
    »Tritt ein, bring Glück herein, alter David, immer noch mit der Taillenweite der Jugend; verschone mich mit dem Kalender in deinen Augen; ich fahre dahin auf dem winzigen Kalenderblatt, das den Namen 31. Mai 1942 trägt; zerstöre mein Boot nicht; erbarme dich meiner, Geliebter, zerstöre nicht das Papierschiffchen, aus einem Kalenderblatt ge faltet, und stürz mich nicht in den Ozean der sechzehn Jahre. Weißt du noch: Der Sieg wird erkämpft, nicht geschenkt; wehe denen, die nicht vom Sakrament des Büffels essen; du weißt auch, daß Sakramente die schreckliche Eigenschaft haben, nicht der Endlichkeit unterworfen zu sein; und sie hatten Hunger, und es fand keine Brotvermehrung für sie statt, keine Fischvermehrung, das Sakrament des Lammes stillte nicht ihren Hunger, das des Büffels bot reichliche Nahrung; sie hatten nicht rechnen gelernt: eine Billion für ein Bonbon, ein Pferd für einen Apfel, und dann keine drei Pfennige für ein Brötchen; und immer ordentlich, anständig, Ehre, Treue; mit dem Sakrament des Büffels geimpft,
    sind sie unsterblich; gib's auf, David, wozu die Zeit mit sich herumschleppen; sei barmherzig, lösch den Kalender in deinen Augen aus; Geschichte machen die ändern; dein Cafe Kroner ist dir sicher, irgendwann ein Denkmal, ein kleines aus Bronze, wird dich mit einer Zeichenrolle in der Hand zeigen: klein, zart, lächelnd, etwas zwischen jungem Rabbiner und Bohemien, mit dem unbestimmten Air ländlicher Herkunft; du hast doch gesehen, wohin politische Vernunft führt - willst du mir die politische Unvernunft rauben? Von deinem Atelierfenster aus riefst du mir zu: ›Mach dir keinen Kummer, ich werde dich lieben und dir die schrecklichen Sachen ersparen, von denen dir deine Schulfreundinnen erzählen; Sachen, wie sie angeblich in Hochzeitsnächten passieren; glaub dem Geflüster dieser Närrinnen nicht; wir werden lachen, wenn es soweit ist, bestimmt, ich verspreche es dir, aber du mußt noch warten, ein paar Wochen, höchstens einen Monat, bis ich den Blumenstrauß kaufen, die Droschke mieten, vor eurem Haus vorfahren kann. Wir werden reisen, uns die Welt anschauen, du wirst mir Kinder schenken, fü nf, sechs, sieben; die Kinder werden mir Enkel schenken, fünfmal, sechsmal, siebenmal sieben; du wirst nie merken, daß ich arbeite; ich werde dir den Männerschweiß ersparen, Muskelernst und Uniformernst; alles geht mir leicht von der Hand, ich hab's gelernt, ein bißchen studiert, hab den Schweiß im voraus bezahlt; ich bin kein Künstler; mach dir keine Illusionen; ich werde dir weder falsche noch echte Dämonie bieten können, das, wovon dir deine Freundinnen Gruselmärchen erzählen, werden wir nicht im Schlafzimmer tun, sondern im Freien: du sollst den Himmel über dir sehen. Blätter oder Gräser sollen dir ins Gesicht fallen, du sollst den Geruch eines Herbstabends schmecken und nicht das Gefühl haben, an einer widerwärtigen Turnübung teilzunehmen, zu der du verpflichtet bist; du sollst herbstliches Gras riechen, wir werden im Sand liegen, unten am Flußufer, zwischen den Weidenbüschen, gleich oberhalb der Spur, die das Hochwasser
    hinterließ; Schilfstengel, Korken, Schuhcremedosen, eine Rosenkranzperle, die einer Schifferfrau über Bord fiel, und in einer Limonadenflasche eine Post; in der Luft der bittere Rauch der Schiffsschornsteine; rasselnde Ankerketten; wir werden keinen blutigen Ernst draus machen, obwohl's natürlich ernst und blutig ist.‹
    Und der Korken, den ich mit meinen nackten Zehen aufnahm und dir zur Erinnerung anbot? Ich hob ihn auf, schenkte ihn dir, weil du mir das Schlafzimmer erspart hattest, die dunkle Folterkammer aus Romanen, Freundinnengeflüster mit Nonnenwarnungen; Weidenzweige hingen mir in die Stirn, silbergrüne Blätter hingen mir über die Augen, die dunkel waren und glänzten; die Dampfer tuteten, mir zur Feier, riefen mir zu, daß ich nicht mehr Jungfrau sei; Dämmer, Herbstabend, längst waren alle Ankerketten gefallen, Matrosen und Schifferfrauen stiegen über schwankende Stege an Land, und schon begehrte ich, was ich vor Stunden noch gefürchtet hatte; und es kamen mir doch ein paar Tränen,

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