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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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für verrückt
    erklärt zu werden; aber wenn es mir wie Gretzens Mutter gegangen wäre, wie? Glück gehabt, reines Glück in dieser Welt, wo eine Handbewegung das Leben kostet, wo es dich retten oder dich umbringen kann, für verrückt erklärt zu werden; ich will die Jahre, die ich verschluckt habe, noch nicht wieder hergeben, will nicht Joseph als Zweiundzwanzigjährigen sehen, mit Mörtelspuren an den Hosenbeinen, Gipsflecken am Rock, einen strahlenden jungen Mann, der den Zollstock schwingt, Zeichenrollen unter dem Arm trägt, ich will nicht die neunzehnjährige Ruth sehen, Kabale und Liebe lesend; schließ die Augen, alter David, klapp den Kalender zu, hier, dein Kaffee. Ich habe wirklich Angst, glaub mir; ich lüge nicht; laß mein Schiffchen schwimmen, sei nicht der mutwillige Knabe, der es zerstört; die Welt ist böse, es gibt so wenig reine Herzen; auch Robert spielt mit, geht gehorsam auf die Stationen, auf die ich ihn schicke: von 1917 bis 1942 - keinen Schritt weiter; aufrecht tut er's, ungebeugt, deutsch; ich weiß, daß er Heimweh hatte, daß ihn das Billardspielen und Formelnpauken in der Fremde nicht glücklich machte; daß er nicht allein um Ediths willen zurückgekommen ist; der ist deutsch, liest Hölderlin, hat nie vom Sakrament des Büffels gekostet, er ist vom Adel, kein Lamm, sondern ein Hirte. Ich hätte nur gerne gewußt, was er im Krieg gemacht hat, aber er spricht nie darüber; ein Architekt, der nie ein Haus gebaut hat, nie Mörtelspuren am Hosenbein, nein, makellos, korrekt, ein Schreibtischarchitekt, den es nicht nach Richtfesten gelüstet. Aber wo ist der andere Sohn: Otto; gefallen bei Kiew, von unserem Fleisch und Blut; wo kam er her, wo ging er hin? Glich er wirklich deinem Vater? Hast du Otto nie mit einem Mädchen gesehen? Ich wüßte so gern etwas über ihn; ich weiß, daß er gern Bier trank, Gurken nicht mochte, und kenne die Bewegungen seiner Hände, wenn er sich kämmte, den Mantel anzog; er verriet uns an die Polizei, ging zum Militär - noch bevor er die Schule absolviert hatte, schrieb uns Postkarten von tödlicher Ironie: ›Mir geht es gut, was ich von euch hoffe;
    brauche 3.‹ Otto, er kam nicht einmal zu den Urlauben nach Hause; wo verbrachte er sie? Welcher Detektiv könnte uns Auskunft darüber geben? Regimentsnummern weiß ich, Feldpostnummern, Dienstgrade: Oberle utnant, Major, Oberstleutnant Fähmel, und als letzten Schlag wieder Ziffern, ein Datum, gefallen 12. 1. 42. Ich sah es mit eigenen Augen, wie er die Leute auf der Straße niederschlug, weil sie die Fahnen nicht grüßten; er erhob seine Hände und schlug sie, hätte auch mich geschlagen, wenn ich nicht rasch in die Krämerzeile eingebogen wäre; wie kam er in unser Haus? Mir bleibt nicht einmal die törichte Hoffnung, er könne als Säugling vertauscht worden sein; er ist im Hause geboren, vierzehn Tage nach Heinrichs Tod, im Schlafzimmer oben, an einem dunklen Oktobertag 1917; er glich deinem Vater.
    Still, Alter, sprich nicht, öffne nicht deine Augen, zeig mir nicht deine achtzig Jahre. Memento quia pulvis es et in pulverem reverteris. Sie sagen es uns deutlich genug; Staub, der Mörtel hinterläßt, Hypothekenbriefe, Häuser, Gutshöfe, ein Denkmal in einem friedlichen Vorort, wo spielende Kinder sich fragen werden: Wer war denn das?
    Als junge Mutter, blühend und fröhlich, ging ich durch den Blessenfelder Park und wußte doch, daß die griesgrämigen Rentner dort, die auf die lärmenden Kinder schimpften, nur auf die schimpften, die einmal selber als griesgrämige Rentner dort sitzen und auf lärmende Kinder schimpfen würden, die einmal griesgrämige Rentner wären; zwei Kinder ha tte ich, an jeder Hand eins; sie waren vier und sechs Jahre alt, dann sechs und acht, acht und zehn, und im Garten hingen die korrekt gemalten Schilder: 25, 50, 75, 100, schwarze Ziffern auf weißlackiertem Blech, erinnerten mich immer an die Ziffern an Straßenbahnhaltestellen; abends dein Kopf in meinem Schoß, die Kaffeetasse in Reichweite; wir warteten vergebens auf Glück, fanden es nicht in Eisenbahnabteilen, in Hotels; ein Fremder ging durchs Haus, trug unseren Namen, trank unsere
    Milch, aß unser Brot, kaufte sich von unserem Geld im Kindergarten Kakao, dann Schulhefte. Trag mich ans Flußufer zurück, wo meine nackten Füße die Hochwasserspur berühren, wo die Dampfer tuten, es nach Rauch riecht, bring mich in das Cafe, wo die Frau mit den herrlichen Händen bedient; still, Alter, weine doch nicht: ich lebte

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