Billard Um Halb Zehn: Roman
nicht.«
»Hat es mit uns beiden zu tun?«
»Nein.«
»Bestimmt nicht?«
»Nein.«
»Mit dir?«
»Ja.«
»Also doch mit uns beiden.«
Joseph lächelte. »Natürlich, da ich ja mit dir zu tun habe.«
»Ist es etwas Schlimmes.«
»Ja.«
»Hat es mit deiner Arbeit zu tun?«
»Ja. Gib mir deinen Kamm, aber dreh dich nicht um; die feinen Sandkörner krieg ich mit den Händen nicht raus.«
Sie nahm den Kamm aus ihrer Handtasche und reichte ihn über die Schulter; er hielt ihre Hand einen Augenblick fest.
»Ich hab doch immer gesehen, wie du abends, wenn die Arbeiter weg waren, an dem großen Haufen nagelneuer Steine entlanggegangen bist und sie berührt hast; nur angefaßt - und ich hab gesehen, daß du es gestern und vorgestern nicht getan hast;
ich kenn doch deine Hände; und heute morgen bist du so früh weggefahren.«
»Ich habe für meinen Großvater ein Geschenk besorgt.«
»Du bist nicht wegen des Geschenks weggefahren; wo bist du gewesen?«
»Ich war in der Stadt«, sagte er, »der Rahmen für das Bild war immer noch nicht fertig, und ich habe darauf gewartet; du kennst doch das Foto, wo mich meine Mutter an der Hand hält, Ruth auf ihrem Arm, und Großvater steht hinter uns? Ich habe es vergrößern lassen, und ich weiß, daß er sich darüber freuen wird.«
Und dann bin ich in die Modestgasse gegangen und habe gewartet, bis mein Vater aus dem Büro kam, groß, ungebeugt, und ich bin hinter ihm hergegangen bis zum Hotel; ich habe eine halbe Stunde vor dem Hotel gewartet, aber er kam nicht heraus, und hineingehen und nach ihm fragen mochte ich nicht; ich wollte ihn nur sehen, und ich habe ihn gesehen; ein gepflegter Herr in den besten Jahren.
Er ließ Marianne los, steckte den Kamm in seine Hosentasche, legte Marianne die Hände auf die Schultern und sagte: »Bitte, dreh dich nicht um, so kann man besser miteinander reden.«
»Besser lügen«, sagte sie.
»Vielleicht«, sagte er, »oder besser: verschweige n.«
An ihrem Ohr vorbei konnte er über die Brüstung der Cafehausterrasse mitten auf den Fluß sehen, und er beneidete den Arbeiter, der fast sechzig Meter hoch oben am Pylon in einem Korb hing und mit dem Schweißapparat blaue Blitze in die Luft zeichnete; Sirenen tuteten, ein Eisverkäufer ging unterhalb des Cafes an der Böschung entlang, rief ›Eis, Eis‹, schwieg dann und spachtelte Eis in bröcklige Waffeln; hinten die graue Silhouette von Sankt Severin.
»Es muß etwas sehr Schlimmes sein«, sagte Marianne.
»Ja«, sagte er, »es ist ziemlich schlimm - vielleicht auch nicht; das ist noch nicht entschieden.«
»Innen oder außen?« fragte sie.
»Innen«, sagte er. »Jedenfalls hab ich heute mittag Klubringer gekündigt; dreh dich nicht um, sonst sag ich kein Wort mehr.«
Er nahm die Hände von ihren Schultern, legte sie um ihren Kopf und hielt ihn in Richtung zur Brücke hin fest.
»Was wird dein Großvater dazu sagen, daß du gekündigt hast? Er war so stolz auf dich, jedes lobende Wort, das Klubringer über dich sagte, ging ihm wie Honig ein; und er hängt doch so an der Abtei; du darfst es ihm heute noch nicht sagen.«
»Sie werden es ihm schon gesagt haben, bevor er uns trifft; du weißt doch, daß er mit Vater nach Sankt Anton kommt; Nachmittagskaffee vor der großen Geburtstagsfeier.«
»Ja«, sagte sie.
»Es tut mir leid um Großvater; du weißt, daß ich ihn mag; er kommt bestimmt heute nachmittag raus, wenn er Großmutter besucht hat; jedenfalls: ich kann vorläufig keine Steine mehr sehen und keinen Mörtel mehr riechen.«
»Vorläufig nur?«
»Ja.«
»Und was wird dein Vater sagen?«
»Oh«, sagte er rasch, »ihm wird es nur um Großvaters willen leid tun; für die schöpferische Seite der Architektur hat er sich nie interessiert, nur für die Formeln; halt, dreh dich nicht um.«
»Es hat also mit deinem Vater zu tun, ich spür's doch; ich bin ja so gespannt drauf, ihn endlich zu sehen; am Telefon mit ihm gesprochen hab ich schon ein paar Mal; ich glaube, daß er mir gefallen wird.«
»Er wird dir gefallen. Spätestens heute abend wirst du ihn
»Muß ich mit zur Geburtstagsfeier?«
»Unbedingt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie Großvater sich freuen wird - und er hat dich ja ausdrücklich eingeladen.«
Sie versuchte ihren Kopf zu befreien, aber er lachte, hielt sie fest und sagte: »Laß doch, so kann man viel besser miteinander sprechen.«
»Und lügen.«
»Verschweigen«, sagte er.
»Liebst du deinen Vater?«
»Ja. Besonders seitdem ich weiß,
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