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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Tachometern nicht beschummeln.«
    Er schaltete, fuhr langsam durch die schmalen Gassen des Ausflugsortes, schnell am Zaun des Golfplatzes vorbei und hielt an der Auffahrt zur Autobahn.
    »Hör«, sagte er, »mit achtzig brauch ich genau drei Minuten, es ist wirklich ganz ungefährlich, wenn du Angst hast, steig hier aus und warte auf mich.«
    »Nein, allein laß ich dich auf keinen Fall fahren.«
    »Es ist ja das letzte Mal«, sagte er, »vielleicht werde ich schon morgen nicht mehr hier sein, und anderswo gibt es solche Gelegenheiten nicht.«
    »Aber auf einer freien Strecke könntest du es doch viel besser ausprobieren.«
    »Nein, es ist ja gerade die Notwendigkeit, vor dem Schild halten zu müssen, die mich reizt.« Er küßte sie auf die Wange.
    »Weißt du, was ich tun werde?«
    »Nein.«
    »Ich werde vierzig fahren.«
    Sie lächelte, als er losfuhr, blickte aber auf den Tachometer.
    »Paß auf«, sagte er, als sie den Kilometerstein 5 passierten,
    »guck jetzt mal auf die Uhr und miß die Zeit ab, die wir bis zum
    Kilometerstein 9 brauchen; ich fahre genau vierzig.«
    Weit vorn, wie Riegel vor die riesigen Tore geschoben, sah sie die Schilder, erst nur wie Hürden, sie wurden größer,
    wuchsen mit erdrückender Stetigkeit: was wie eine schwarze Spinne ausgesehen hatte, klärte sich zu gekreuztem Gebein, was wie ein merkwürdiger Knopf ausgesehen hatte, wurde zum Totenschädel, stieg, wie das Wort stieg, an sie heranflog, fast schon die Kühlerhaube zu berühren schien: das O von TOD wie ein offener Mund, der einen drohenden Laut zu bilden schien; die zitternde Tachometernadel zwischen 90 und 100, rollerfahrende Kinder, Männer und Frauen, deren Gesichter nichts Feierabendliches mehr hatten, flogen vorüber, mit warnend erhobenen Armen, schrillen Stimmen wirkten sie wie dunkle Todesvögel. »Du«, sagte sie leise, »bist du überhaupt noch da?« »Natürlich«, sagte er lächelnd, »und ich weiß genau, wo ich bin«, er blickte starr auf das O von TOD: »Reg dich nicht auf.«
    Kurz vor Feierabend holte der Vorarbeiter der Abbruchfirma ihn ins Refektorium, wo ein Schuttberg in der Ecke auf ein Band geschaufelt, vom Band auf den Lastwagen transportiert wurde; Nässe, die sich im Schutt gesammelt, aus Steinresten, Mörtelresten und undefinierbarem Dreck klebrige Klumpen gebildet hatte; Nässe wurde an den Wänden, je kleiner der Schuttberg wurde, erst in dunklem, dann in hellem Ausschlag sichtbar; hinter dem Ausschlag rote, blaue und goldene Töne, Spuren von Wandmalereien, die der Vorarbeiter für kostbar hielt, eine Ab endmahlsszene, vom Ausschlag überwuchert: das Gold des Kelchs, das Weiß der Hostie, Christi Gesicht, hellhäutig mit dunklem Bart, Sankt Johannes' braunes Haar und:
    ›Hier, sehen Sie doch Herr Fähmel, hier das dunkle Leder von Judas' Geldbeutel; vorsichtig wischte der Vorarbeiter mit einem
    trockenen Lappen den weißen Ausschlag weg, legte ehrfürchtig das Bild frei: Brokattischtuch, zwölf Jünger; Füße wurden sichtbar, Tischtuchränder, der fliesenbelegte Boden des Abendmahlsaales; lächelnd dem Vorarbeiter die Hand auf die Schulter gelegt: ›Gut, daß Sie mich gerufen haben; natürlich muß das Fresko erhalten bleiben; lassen Sie's ganz freischaufeln
    und austrocknen, bevor etwas damit geschieht; er wollte gehen, schon stand der Tee auf dem Tisch, Brot, Butter und Heringe, Freitagabend, am Fisch erkennbar, schon war Marianne von Stehlingers Grotte aus unterwegs, ihn zum Spaziergang abzuholen; da sah er, kurz bevor er sich endgültig abwenden wollte, unten in die Ecke des Bildes geschrieben XYZX, und er hatte doch hunderte Male, wenn er ihm bei den Mathematikaufgaben half, Vaters X, sein Y, sein Z gesehen, sah es hier wieder, oberhalb des Loches, das in die Kellerdecke gesprengt war, zwischen Sankt Johannes und Sankt Peters Fuß; die Säule des Refektoriums auseinandergerissen, das tragende Gewölbe zerstört; nur der Mauerrest mit dem Abendmahlsbild; XYZX. ›Was Besonderes los, Herr Fähmel‹, fragte der Vorarbeiter, legte ihm die Hand auf die Schulter, ›Sie sind ja ganz blaß geworden - oder ist es nur die Liebe?‹ ›Nur die Liebe‹, sagte er, ›nur die Liebe, kein Grund zur Aufregung, und vielen Dank, daß Sie mich gerufen haben.‹ Ihm schmeckte der Tee nicht, nicht das Brot, die Butter und die Heringe; Freitag, am Fisch erkennbar; nicht einmal die Zigarette schmeckte ihm; er ging durch alle Gebäude und um die Abteikirche, ins Pilgerhaus, suchte überall dort, wo statisch

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