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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Nettlinger, deren er unzählige beobachtet hatte, erinnerten ihn an Verurteilte; ihre Mahlzeiten kamen ihm wie Henkersmahlzeiten vor; sie aßen, obwohl sie die Tischsitten beherrschten und beobachteten, ohne Zeremonie, mit tödlichem Ernst, der Erbsensuppe und Poularde tötete; waren außerdem gezwungen, mit jedem Bissen, den sie
    aßen, den Preis zu würdigen. Er wandte sich von Nettlinger ab,
    dem Bahnhof wieder zu, las das große Transparent, das über dem Eingang hing: Herzlich willkommen unsere Heimkehrer.
    »Hör mal«, sagte er, »würdest du mich als Heimkehrer bezeichnen?«
    Mit einem Lidaufschlag, als tauchte er aus Abgründen der Trauer auf, blickte Nettlinger von der Toastschnitte hoch, die er gerade mit Butter bestrich.
    »Das kommt darauf an«, sagte er, »bist du eigentlich noch deutscher Staatsbürger?«
    »Nein«, sagte Schrella, »ich bin Staatenloser.«
    »Schade«, sagte Nettlinger, neigte sich wieder über seine Toastschnitte, spießte ein Stück Räucherlachs von der Platte, zerlegte es - »wenn es dir gelingen könnte zu beweisen, daß du nicht aus kriminellen, sondern aus politischen Gründen fliehen mußtest, würdest du eine ganz hübsche Entschädigung bekommen können. Liegt dir daran, daß ich die Rechtslage kläre?«
    »Nein«, sagte Schrella. Er beugte sich vor, als Nettlinger die Lachsplatte zurückschob: »willst du etwa den herrlichen Lachs zurückgehen lassen?«
    »Natürlich«, sagte Nettlinger, »aber du kannst doch nicht...« Er blickte erschrocken um sich, als Schrella sich eine Scheibe
    Toast vom Teller, den Lachs mit den Fingern von der
    Silberplatte nahm und auf den Toast legte - »du kannst doch nicht...« »Du glaubst gar nicht, was man in einem so vornehmen Hotel alles kann; mein Vater ist Kellner gewesen, sogar in diesen heiligen Hallen; die verzögen keine Miene, wenn du Erbsensuppe mit den Fingern essen würdest, obwohl das unnatürlich und unpraktisch wäre; aber gerade das Unnatürliche und Unpraktische wird hier am wenigsten Aufsehen erregen, deshalb die hohen Preise; das ist der Preis für Kellner, die keine Miene verziehen; aber Brot mit den Fingern essen und Fisch mit
    den Fingern drauflegen - das ist weder unnatürlich noch unpraktisch.«
    Er nahm lächelnd die letzte Lachsscheibe vom Tablett, öffnete die Toastschnitten noch einmal und klemmte den Fisch dazwischen. Nettlinger sah ihn böse an.
    »Wahrscheinlich«, sagte Schrella, »würdest du mich jetzt am liebsten umbringen, aus anderen Motiven als damals, das muß ich zugeben, aber das Ziel wäre das gleiche; höre, was der Sohn eines Kellners dir zu verkünden hat: ein wirklich feiner Mann unterwirft sich nie der Tyrannei der Kellner, unter denen es natürlich welche gibt, die wie feine Leute denken.«
    Er aß seine Schnitte, während der Kellner, von einem Boy assistiert, für den Hauptgang deckte; komplizierte Warmhaltevorrichtungen wurden auf kleinen Tischen aufgebaut, Bestecke und Teller verteilt, die benutzten wurden weggeräumt, für Nettlinger wurde Wein, für Schrella Bier gebracht. Nettlinger kostete den Wein. »Ein ganz klein wenig zu warm«, sagte er.
    Schrella ließ sich Huhn vorlegen, Kartoffeln und Salat, prostete Nettlinger mit seinem Bierglas zu und beobachtete, wie der Kellner Nettlinger tiefbraune schwere Sauce über das Lendenstück goß.
    »Lebt eigentlich Wakiera noch?«
    »Natürlich«, sagte Nettlinger, »er ist erst achtundfünfzig, und
du wirst das Wort aus meinem Munde bestimmt komisch
    finden: er ist einer von den Unbelehrbaren.«
    »Ach«, fragte Schrella, »wie soll ich das verstehen; ob es das wirklich geben kann: unbelehrbare Deutsche?«
    »Nun, er pflegt dieselben Traditionen, die er im Jahre 1935 zu pflegen beliebte.«
    »Hindenburg und so? Anständ ig, anständig, Treue, Ehre - wie?« »Genau. Hindenburg wäre das Stichwort für ihn.«
    »Und das Stichwort für dich?«
    Nettlinger blickte von seinem Teller auf, hielt die Gabel in einem Fleischstück fest, das er gerade abgeschnitten hatte.
    »Wenn du mich doch verstehen würdest«, sagte er, »ich bin Demokrat, ich bin es aus Überzeugung.«
    Er senkte seinen Kopf wieder über die Lendenschnitte, hob die Gabel mit dem aufgespießten Fleischstück hoch, schob es in den Mund, wischte sich den Mund mit der Serviette, griff kopfschüttelnd nach seinem Weinglas.
    »Was ist aus Trischler geworden?« fragte Schrella.
    »Trischler? Ich entsinne mich nicht.«
    »Der alte Trischler, der am unteren Hafen wohnte, wo später der

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