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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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wie jung er noch ist.«
    »Du hast nicht gewußt, wie alt er ist?«
    »Nein. Ich habe ihn immer für fünfzig, fünfundfünfzig gehalten - komisch, nicht wahr, ich habe mich nie für sein genaues Alter interessiert, und ich war richtig erschrocken, als ich vorgestern meine Geburtsurkunde bekam und erfuhr, daß Vater erst dreiundvierzig ist; jung, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte sie, »und du bist zweiundzwanzig.«
    »Ja, und ich habe bis zu meinem zweiten Lebensjahr nicht Fähmel geheißen, sondern Schrella; merkwürdiger Name, wie?«
    »Bist du deshalb böse auf ihn?«
    »Ich bin nicht böse auf ihn.«
    »Was hat er denn getan, daß du plötzlich die Lust am Bauen verloren hast?«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Schön - aber warum hat er dich nie in Sankt Anton besucht?«
    »Er macht sich offenbar nichts aus Baustellen, und vielleicht sind sie als Kinder zu oft in Sankt Anton gewesen, verstehst du, Sonntagspaziergänge, die man mit den Eltern gemacht hat - die wiederholt man als Erwachsener nur, wenn man unbedingt die
    Grundschule der Melancholie noch einmal durchmachen will.«
    »Hast du denn je mit deinen Eltern Sonntagspaziergänge gemacht?«
    »Nicht viele, meistens mit meiner Mutter und den Großeltern, aber wenn mein Vater in Urlaub kam, ging er mit spazieren.«
    »Nach Sankt Anton.«
    »Auch dahin.«
    »Nun, ich verstehe nicht, daß er dich nie besucht hat.«
    »Er mag Baustellen einfach nicht; vielleicht ist er ein bißchen komisch; manchmal, wenn ich überraschend nach Hause komme, sitzt er im Wohnzimmer am Schreibtisch und kritzelt Formeln auf die Ränder fotokopierter Zeichnungen - er hat eine große Sammlung davon - , aber ich glaube, du wirst ihn mögen.«
    »Du hast mir nie ein Bild von ihm gezeigt.«
    »Ich habe kein neues; er hat so etwas rührend Altmodisches, in seinen Kleidern und seinem Benehmen; korrekt, liebenswürdig - viel altmodischer als Großvater!«
    »Ich bin so gespannt auf ihn. Darf ich mich jetzt umdrehen?«
    »Ja.«
    Er ließ ihren Kopflos, versuchte zu lächeln, als sie sich plötzlich umdrehte, aber ihre runden hellgrauen Augen löschten sein gewaltsames Lächeln aus.
    »Warum sagst du es mir nicht?«
    »Weil ich es selber noch nicht verstehe. Sobald ich's verstanden habe, werde ich es dir sagen; aber das kann lange dauern; fahren wir?«
    »Ja«, sagte sie, »fahren wir; dein Großvater wird bald da sein; laß ihn nicht warten; wenn sie es ihm sagen, bevor er dich sieht - das wird schlimm für ihn sein, und bitte, versprich mir, daß du nicht wieder auf das schreckliche Schild zufährst und erst im letzten Augenblick stoppst.«
    »Eben«, sagte er, »habe ich mir vorgestellt, daß ich durchfahre, die Baubuden wegrasiere und über die kahle Rampe hinweg wie von einer Schanze herunter ins Wasser springe mit dem Auto...«
    »Du magst mich also nicht.«
    »Ach, Gott«, sagte er, »es ist ja nur ein Spiel.«
    Er zog Marianne hoch; sie gingen die Treppe hinunter, die ans Flußufer führte.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte Joseph auf der Treppe, »daß Großvater es ausgerechnet heute erfahren muß, an seinem achtzigsten Geburtstag.«
    »Kannst du es ihm nicht ersparen?«
    »Die Tatsache nicht - aber die Mitteilung ja, wenn sie es ihm noch nicht gesagt haben.«
    Er schloß das Auto auf, stieg ein, öffnete von innen die Tür für Marianne, legte den Arm um ihre Schultern, als sie neben ihm saß.
    »Nun hör doch mal zu«, sagte er, »es ist ja ganz einfach; die Strecke ist genau viereinhalb Kilometer lang; dreihundert Meter brauche ich, um auf hundertzwanzig zu kommen - wieder dreihundert zum Bremsen, und das ist sehr großzügig gerechnet; es bleiben also knapp vier Kilometer, für die ich genau zwei Minuten brauche; du mußt nur auf die Uhr sehen, mir sagen, wann die zwei Minuten um sind und ich anfangen muß zu bremsen; verstehst du denn nicht? Ich möchte ja nur einmal rauskriegen, was in der Karre wirklich drin steckt.«
    »Es ist ein schreckliches Spiel«, sagte sie.
    »Wenn ich wirklich auf hundertachtzig kommen könnte, brauchte ich nur zwanzig Sekunden - aber dann würde auch der Bremsweg länger.«
    »Bitte hör auf, bitte.«
    »Hast du Angst?«
    »Ja.«
    »Gut, dann laß ich's. Darf ich dann wenigstens mal mit achtzig draufzufahren?«
    »Meinetwegen, wenn dir soviel daran liegt.«
    »Du brauchst dabei gar nicht auf die Uhr zu sehen, ich kann auf Sicht fahren und den Bremsweg nachher abfahren, verstehst du, ich möchte einfach mal wissen, ob sie uns mit den

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