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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Auto heraus die Leute: ›Bitte, können Sie mir sagen, wo hier die Schmitzens wohnen?‹, und die Leute sagten:
    ›Schmitzens gibt es hier eine ganze Menge, welche meinen Sie‹,
    und der Mann sagte: ›Die das angenommene Kind haben‹, und
    die Leute sagten: ›Ja, die, das sind die Eduard Schmitzens, die wohne n da hinten, sehen Sie da, gleich hinter der Schmiede, das Haus mit dem Buchsbaum davor.‹ Und der Mann sagte:
    ›Danke‹, das Auto fuhr weiter, aber alle Leute folgten ihm, denn es war vom Dorfplatz bis zu den Eduard Schmitzens höchstens fünfzig Schritte zu laufen; ich saß in der Küche und putzte Salat, das tat ich so gern: die Blätter aufschneiden, das schlechte weg und das gute ins Sieb werfen, wo es so grün und sauber lag, und meine Mutter sagte gerade zu mir: ›Du mußt darüber nicht traurig sein, Marianne, da können die Jungens nichts dafür; wenn sie dreizehn, vierzehn werden - bei manchen fängt's schon mit zwölf an -, da machen sie solche Sachen; es ist die Natur, und es ist nicht leicht, mit der Natur fertig zu werden‹; und ich sagte: ›Darüber bin ich gar nicht traurig.‹ ›Worüber denn?‹ fragte meine Mutter. Ich sagte: ›Ich denke an meinen Bruder, wie er so da hing, und ich habe gelacht und gar nicht gewußt, wie schrecklich es war - und er war doch nicht getauft.‹ Und bevor meine Mutter mir etwas antworten konnte, ging die Tür auf - und wir hatten kein Klopfen gehört -, und ich erkannte sie sofort: Immer noch war sie blond und groß und trug einen schnittigen Hut, nur die blaue Uniform trug sie nicht mehr; sie kam sofort auf mich zu, breitete ihre Arme aus und sagte: ›Du mußt meine Marianne sein - spricht die Stimme des Blutes nicht zu dir?‹ Ich hielt das Messer einen Augenblick still, schnitt dann das nächste Salatblatt sauber und sagte: ›Nein, die Stimme des Blutes spricht nicht zu mir.‹ ›Ich bin deine Mutter‹, sagte sie.
    ›Nein‹, sagte ich, ›die da ist meine Mutter. Ich heiße Marianne Schmitz‹, und ich schwieg einen Augenblick und sagte: ›Er hat
    es befohlen - und Sie haben mir die Schlinge um den Hals gelegt, gnädige Frau.‹ Das hatte ich bei der Schneiderin gelernt, daß man zu solchen Frauen ›gnädige Frau‹ sagen muß.
    Sie schrie und weinte, und sie versuchte mich zu umarmen, aber ich hielt das Messer, mit der Spitze nach vorne, vor meine Brust; sie sprach von Schulen und von Studieren, schrie und
    weinte, aber ic h lief zum Hintereingang hinaus, in den Garten übers Feld zum Pfarrer und erzählte ihm alles. Er sagte: ›Sie ist deine Mutter, Naturrecht ist Naturrecht, und bis du großjährig wirst, hat sie ein Recht auf dich; das ist eine schlimme Sache.‹
    Und ich sagte: ›Hat sie nicht dieses Recht verwirkt, als sie das Spiel spielte: Er hat es befohlen?‹ und er sagte: ›Du bist aber ein schlaues Ding; merk dir das Argument gut.‹ Ich merkte es mir und brachte es immer wieder vor, wenn sie von der Stimme des Blutes sprachen, und ich sagte immer: ›Ich höre die Stimme des Blutes nicht, ich höre sie einfach nicht.‹ Sie sagten: ›Das gibt es doch gar nicht, ein solcher Zynismus ist wider die Natur‹; ›Ja‹, sagte ich: ›Er hat es befohlen - das war wider die Natur.‹ Sie sagten: ›Aber das ist doch mehr als zehn Jahre her, und sie bereut es‹; und ich sagte: ›Es gibt Dinge, die man nicht bereuen kann.‹ ›Willst du‹, fragte sie mich, ›härter sein als Gott in seinem Gericht?‹ ›Nein‹, sagte ich, ›ich bin nicht Gott, also kann ich nicht so milde sein wie er.‹ Ich blieb bei meinen Eltern. Aber eins konnte ich nicht verhindern: ich hieß nicht mehr Marianne Schmitz, sondern Marianne Droste, und ich kam mir vor wie jemand, dem sie was wegoperiert haben. - Immer noch«, sagte sie leise, »denke ich an meinen kleinen Bruder, der das Spiel Er hat es befohlen hat spielen müssen - und glaubst du immer noch, daß es etwas Schlimmeres gibt, schlimm genug, daß du es mir nicht erzählen kannst?«
    »Nein, nein«, sagte er, »Marianne Schmitz, ich will's dir erzählen.«
    Sie nahm die Hand von seinen Augen, er richtete sich auf, blickte sie an; sie versuchte nicht zu lächeln.
    »So etwas Schlimmes kann dein Vater gar nicht getan haben«, sagte sie.
    »Nein«, sagte er, »so schlimm war es nicht, aber schlimm genug.«
    »Komm«, sagte sie, »erzähl's mir im Auto, es ist bald fünf, und sie werden schon warten; wenn ich einen Großvater hätte, ich würde ihn nicht warten lassen, und wenn ich einen

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