Billard um halbzehn
Krankenhaus gebracht, aber warf man Kranke so wie Säcke einfach auf den Lastwagen? Und ich habe gesehen, wie der Lehrer Krott heimlich in der Pause in die Klasse ging und Konrad Gretz das Butterbrot aus dem Ranzen stahl, ich habe Krotts Gesicht gesehen und litt Todesängste, und betete zu Gott: ›Bitte, laß nicht zu, daß er mich hier entdeckt, bitte, bitte‹, denn ich wußte, er würde mich ermorden, wenn er mich entdeckte; ich stand hinter der Tafel, suchte meine Haarspange, und er hätte meine Beine sehen können, aber Gott hatte Erbarmen mit mir: Krott entdeckte mich nicht; ich sah sein Gesicht und sah noch, wie er ins Brot biß, dann hinausging; wer in solche Gesichter gesehen hat, den regen gesprengte Abteien nicht mehr auf; und das Theater nachher, als Konrad Gretz den Verlust entdeckte und Krott uns alle zur Aufrichtigkeit ermahnte: ›Kinder, seid doch ehrlich, ich gebe
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euch eine Viertelstunde Zeit; dann muß sich der Schuldige gemeldet haben, sonst‹ - noch acht Minuten, noch sieben Minuten, sechs -, und ich sah ihn an, er fing meinen Blick auf, stürzte auf mich zu: ›Ruth, Ruth‹, schrie er, ›du? Bist du es gewesen?‹ Ich schüttelte den Kopf, fing an zu weinen, denn ich litt wieder Todesangst - und er sagte: ›Mein Gott, Ruth, sei ehrlich.‹ Ich hätte gern ja gesagt, aber dann hätte er gemerkt, daß ich wußte; und ich schüttelte den Kopf unter Tränen; noch vier Minuten, drei, zwei, eine, aus; ›Ihr verdammte Diebesbande, ihr Lügenbande, jetzt schreibt ihr zur Strafe zweihundertmal: ,Ich darf nicht stehlen!’‹ Ihr mit euren Abteien; ich habe schrecklichere Geheimnisse hüten müssen, habe Todesangst ausgestanden; wie Säcke warfen sie sie auf den Wagen.
Warum mußten sie den netten Abt so kühl behandeln? Was hat er getan, hat er jemand umgebracht, hat er jemand ein Butterbrot gestohlen? Konrad Gretz hatte genug zu essen, Leberpastete und Kräuterbutter auf Weißbrot; welcher Teufel wohnte plötzlich im Gesicht des milden, vernünftigen Lehrers?
Mord hockte zwischen Nase und Augen, Nase und Mund, zwischen den Ohren; wie Säcke warfen sie die Leichen auf den Lastwagen, und ich hatte Spaß, wenn Vater den Bürgermeister vor der großen Wandkarte verhöhnte, wenn er seine schwarzen Zeichen malte und sagte: ›Weg damit, sprengen‹; ich liebe ihn, liebe ihn nicht weniger, jetzt, wo ich's weiß; hat Joseph wenigstens seine Zigaretten im Auto gelassen; ich hab doch gesehen, wie der Mann seinen Trauring für zwei Zigaretten hergab - wieviel hätte er für seine Tochter haben wollen, wieviel für seine Frau? In seinem Gesicht die Preistafel: zehn, zwanzig, er hätte mit sich reden lassen; sie lassen alle mit sich reden; tut mir leid, Vater, aber der Honig und das Brot und die Butter schmeckten mir auch noch, nachdem ich wußte, wer das getan hatte. Wir wollen weiter Vater und Tochter spielen; genau abgezirkelt, wie ein Turniertanz; nach dem Imbiß wäre
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eigentlich der Spaziergang auf den Kosakenhügel hinauf fällig gewesen: Joseph mit Marianne und mir vorneweg, Großvater hinterher, wie jeden Samstag.
›Kommst du mit, Großvater?‹
›Danke, es geht schon.‹
›Gehn wir nicht zu schnell?‹
›Nein, laßt nur, Kinder. Ob ich mich ein wenig setzen kann, oder glaubt ihr, es ist zu feucht?‹
›Der Sand ist pulvertrocken, Großvater, und noch ganz warm, du kannst dich ruhig setzen; komm, gib mir deinen Arm.‹
›Natürlich, Großvater, steck dir ruhig eine Zigarre an, wir werden schon achtgeben, daß nichts passiert.‹
Zum Glück hat Joseph die Zigaretten im Wagen gelassen, und der Anzünder funktioniert; Großvater hat mir so schöne Kleider geschenkt und Pullover, viel schönere als Vater, der einen altmodischen Geschmack hat; man merkt, daß Großvater von Mädchen und von Frauen was versteht; ich will Großmutter nicht verstehen, ich will nicht, ihre Verrücktheit ist Lüge, sie hat uns nichts zu essen gegeben, und ich war froh, als sie weg war und wir was bekamen; mag sein, daß du recht hast, daß sie groß war und groß ist, aber ich will nichts von Größe wissen; ein Butterbrot mit Leberpastete, Weißbrot und Kräuterbutter, hätte mich fast das Leben gekostet; mag sie wiederkommen und abends bei uns sitzen, aber gebt ihr nicht den Schlüssel zur Küche, bitte nicht; ich habe den Hunger auf dem Gesicht des Lehrers gesehen und habe Angst davor; gib ihnen immer zu essen, lieber Gott, immer, damit das Schreckliche nicht wieder auf ihren Gesichtern
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