Billard um halbzehn
in dieser Klapsmühle hier bist du gut untergebracht, hier wird auf jedes Seelenwehwehchen eingegangen, hier werden alle Komplexe respektiert; das ist nur eine Preisfrage: wenn du arm wärst, gäbe es Senge und kaltes Wasser, aber hier wird jedes Spielchen mitgespielt, du hast sogar Ausgang, kannst in Denklingen ein Bier trinken gehen; du brauchst nur
›Schußfeld‹ zu rufen, Schußfeld für die zweite, Schußfeld für
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die dritte Armee, und irgend jemand wird dir ›Jawohl, Herr General‹, antworten; Zeit wird nicht als Ganzes, nur im Detail verstanden, sie darf hier nie zu Geschichte werden, verstehst du?
Ich will dir ja gern glauben, daß du meine Augen schon gesehen hast, bei jemand, der eine rote Narbe überm Nasenbein trug, ich will dir glauben, aber solche Angaben und solche
Zusammenhänge sind hier unerlaubt; hier ist immer heute, heute ist Verdun, heute ist Heinrich gestorben, Otto gefallen, heute ist der 31. Mai 1942, heute flüsterte Heinrich mir ins Ohr: Vorwärts mit Hurra und Hindenburg; du hast ihn gekannt, hast ihm die Hand gedrückt, oder vielmehr er dir; schön, aber nun wollen wir mal hübsch ein bißchen arbeiten; ich weiß noch, welches Gebet für die Ministranten am schwersten zu lernen war, ich hab's mit meinem Sohn Otto gelernt, hab's ihm abhören müssen:
›Suscipiat Dominus sacrificium de manibus tuis ad laudem et gloriam nominis sui‹ - jetzt kommt das Schwerste, Alter - ›ad utilitatem quoque nostram, totiusque Ecclesiae sua sanctae‹ -
sprich's nach, Alter - nein, ›ad utilitatem‹, nicht ›utilatem‹ - den Fehler machen sie alle - ich schreib's dir auf einen Zettel, wenn du willst, oder lies es in deinem Gebetbuch nach - und nun, adieu, Abendbrotzeit, Schußfeld; laß dir's schmecken...«
Über die breiten schwarzen Wege an der Kapelle vorbei zum Gewächshaus zurück; nur Mauern waren Zeugen, als sie die Tür mit dem Schlüssel öffnete, an leeren Blumentöpfen, modrig riechenden Beeten vorbei leise in das Büro des Obergärtners ging; sie nahm die Pistole vom Ständer, öffnete die weiche schwarze Handtasche, das Leder schloß sich um die Pistole, leicht ließ sich der Verschluß zuknipsen; lächelnd, leere Blumentöpfe streichelnd, verließ sie das Gewächshaus, schloß hinter sich die Tür wieder zu; nur die dunklen Mauern waren Zeugen, als sie den Schlüssel abzog; langsam ging sie über die breiten schwarzen Wege zum Haus zurück.
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Huperts deckte den Abendbrottisch in ihrem Zimmer; Tee, Brot, Butter, Käse und Schinken; er blickte lächelnd auf, sagte:
»Sie sehen blendend aus, gnädige Frau.«
»So«, sagte sie, legte ihre Handtasche auf die Kommode, nahm den Hut vom dunklen Haar, fragte lächelnd: »Ob der Obergärtner mir wohl ein paar Blumen bringen könnte?«
»Der ist aus«, sagte Huperts, »hat Ausgang bis morgen abend.«
»Und niemand außer ihm darf ins Gewächshaus?«
»Nein, gnädige Frau, darin ist er schrecklich eigen.«
»Dann muß ich wohl bis morgen abend warten, oder ich besorg mir welche in Denklingen oder Dodringen.«
»Sie wollen ausgehen, gnädige Frau?«
»Ja, wahrscheinlich, es ist ein so schö ner Abend, ich darf doch, nicht wahr.«
»Natürlich, natürlich - Sie dürfen - oder soll ich den Herrn Rat anrufen, oder den Herrn Doktor?«
»Das werde ich selbst tun, Huperts, bitte würden Sie mir das Telefon auf Amt stellen, aber für lange, bitte - ja?«
»Selbstverständlich, gnädige Frau.«
Als Huperts gegangen war, öffnete sie das Fenster, warf den Schlüssel zur Gärtnerei in das Kompostbecken, schloß das Fenster, goß sich Tee und Milch in eine Tasse, setzte sich, zog das Telefon zu sich heran: »Komm, komm«, sagte sie leise, versuchte mit der linken Hand die zitternde Rechte zu beschwichtigen, die nach dem Hörer griff. »Komm, komm«, sagte sie, »ich bin bereit, mit dem Tod in der Handtasche ins Leben zurückzukehren; sie haben es alle nicht gewußt, daß diese Berührung mit dem kühlen Metall genügen würde, haben Gewehr zu wörtlich verstanden; ich brauch ja kein Gewehr, eine Pistole tut's auch, komm, komm, sag mir, wie spät es ist, komm, sag's, sanfte Stimme, bist du immer noch die gleiche und immer
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noch unter der gleichen Nummer erreichbar?« Sie nahm den Hörer in die Linke, lauschte dem amtlichen Tuten. ›Huperts braucht nur auf ein Knöpfchen zu drücken, und sie ist da: die Zeit, die Welt, die Gegenwart, die deutsche Zukunft: Ich bin gespannt, wie sie aussieht, wenn ich aus dem
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