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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Brust, der konnte warten und sparen, brauchte nicht immer wieder Herz und Gefühl zu mobilisieren, betrank sich nicht an Tragik, hatte den Schwur geleistet, nur deutsche Brücken, nur deutsche Häuser zu sprengen, an keiner russischen Kate auch nur eine Fensterscheibe zu zerstören; warten, Billard spielen, kein Wort zuviel - und endlich lag sie in der Frühlingssonne, unsere große Beute, auf die wir so lange hatten warten müssen: Sankt Anton; am Horizont die Beute, die uns entgehen sollte: Sankt Severin.
    »Fahr nicht so schnell«, sagte Marianne leise.
    »Entschuldige«, sagte Joseph.
    »Sag, was wollen wir hier in Denklingen?«
    »Großvater will dorthin«, sagte Joseph.
    »Nein, Joseph«, sagte Ruth, »fahr nicht mit dem Auto in die Allee, siehst du nicht das Schild: ›Nur für Anliegen‹? Zählst du dich etwa dazu?«
    Die große Abordnung: Gatte, Sohn, Enkel und zukünftige Schwiegertochter stiegen ins verwunschene Schloß hinunter.
    »Nein, nein«, sagte Ruth, »ich warte hier draußen. Bitte, laßt mich.«
    Abends, wenn ich mit Vater im Wohnzimmer sitze, könnte Großmutter dabeisein; ich lese, er trinkt Wein, kramt in seinen
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    Karteikästen, legt die doppelpostkartengroßen Fotokopien wie eine Patience vor sich aus; immer korrekt, nie die Krawatte gelockert, nie die Weste geöffnet, nie zu väterlicher Gemütlichkeit sich aufgelöst; zurückhaltend und besorgt:
    ›Brauchst du Bücher, Kleider, Geld für die Reise; langweilst du dich nicht, Kind? Möchtest du lieber ausgehen? Ins Theater, ins Kino, zum Tanzen; ich werde dich gern begleiten; oder möchtest du deinen Schulfreundinnen noch einmal einen Kaffee oben auf dem Dachgarten geben, jetzt, wo das Wetter so schön ist?‹
    Abendspaziergang vorm Zubettgehen, rund um den
    Häuserblock, Modestgasse bis zum Tor, dann die Bahnhofstraße hinunter bis zum Bahnhof; ›Riechst du die Ferne, Kind?‹; durch die Unterführung, an Sankt Severin, am Hotel Prinz Heinrich vorüber; ›Gretz hat vergessen, die Blutflecken vom Trottoir abzuwaschen‹; Keilerblut war hart und schwarz geworden;
    ›Kind, es ist halb zehn, jetzt gehst du besser schlafen; gute Nacht‹; Kuß auf die Stirn; immer freundlich, immer korrekt;
    ›möchtest du lieber, daß wir eine Haushälterin nehmen, oder bist du das Wirtshausessen noch nicht leid?; offen gestanden, ich mag nicht gern fremde Personen im Hause‹; Frühstück, Tee, Brötchen, Milch; Kuß auf die Stirn; und manchmal ganz leise:
    ›Kind, Kind.‹ ›Was ist denn Vater?‹ ›Komm, wir fahren weg.‹
    ›Jetzt, hier, sofort?‹ ›Ja. Laß die Schule für heute und morgen, wir fahren nicht weit; nur bis Amsterdam; herrliche Stadt, Kind, stille, sehr freundliche Menschen - man muß sie nur kennen.
    Kennst du sie?‹ ›Ja, ich kenne sie. Schön, die Spaziergänge abends an den Grachten entlang.‹ ›Glas. Glas. Still. Hörst du, wie still die Menschen hier sind? Nirgendwo sind sie so laut wie bei uns, immer brüllen, schreien, wichtig tun. Langweilt es dich, wenn ich noch zum Billard gehe? Geh mit, wenn es dir Spaß macht.‹
    Ich verstand nie die Faszination, mit der ihm alte und junge Männer beim Spiel zusahen, wenn er dastand, im Zigarrenrauch, das Bierglas neben sich auf dem Bord, und Billard spielte,
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    Billard; duzten sie ihn wirklich, oder war es nur eine Eigenart der holländischen Sprache, daß es wie Du klang, wenn sie ihn anredeten; sie kannten seinen Vornamen: Robert, rollten das R
    von Robert, wie ein hartes Bonbon im Gaumen. Still. Soviel Glas an den Grachten. Ruth heiße ich, Halbwaise bin ich, meine Mutter war vierundzwanzig, als sie starb; ich war drei, und wenn ich an sie denke, denke ich siebzehn oder zweitausend Jahre, vierundzwanzig ist eine Zahl, die nicht zu ihr paßt; irgend etwas unter achtzehn oder über achtzig; mir kam sie immer vor wie Großmutters Schwester; ich kenne das große, wohlbehütete Geheimnis, daß Großmutter verrückt ist, und ich will sie nicht sehen, solange sie verrückt ist; Ihre Verrücktheit ist Lüge, Trauer hinter dicken Mauern, ich kenne das, betrinke mich auch oft daran und schwimme in Lüge dahin: Hinterhaus, Modestgasse 8, von Gespenstern bewohnt. Kabale und Liebe, Großvater ha t das Kloster gebaut, Vater hat es gesprengt, Joseph hat's neu errichtet. Meinetwegen; ihr werdet enttäuscht sein, wie wenig mich das erschüttert; ich habe gesehen, wie sie die Toten aus den Kellern holten, und Joseph versuchte, mir einzureden, sie wären krank und würden nur ins

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