Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
jetzt ihre Fahnen hochnehmen; und der andere Sohn? Wie geht es dir, Vater? Gut und dir? Gut, danke, Vater. Kann ich etwas für dich tun? Nein, danke, ich habe alles. Abtei Sankt Anton? Verzeih, daß ich lache, Liebste; Staub; erregt nicht einmal Sentimentalität, viel weniger noch Gefühle; willst du noch Wein?«
    »Ja, bitte.«
    Ich verlaß mich auf den Paragraphen einundfünfzig, Liebster; dehnbar sind die Gesetze - sieh da unten, unser alter Freund Nettlinger; klug genug, nicht in Uniform zu erscheinen, aber doch da, um Hände zu drücken, Schultern zu klopfen, Fahnen zu betasten; wenn schon, dann würde ich lieber diesen Nettlinger erschießen - aber vielleicht überlege ich es mir und schieße nicht in das Museum da unten; der Mörder meines Enkels sitzt nebenan auf dem Balkon - siehst du ihn: dunkel gekleidet, anständig, anständig; der denkt anders, handelt anders, plant anders; der hat was gelernt; spricht fließend Französisch, Englisch, kann Latein und Griechisch und hat schon das Lesezeichen für morgen in seinem Schott zurechtgemacht: fünfzehnter Sonntag nach Pfingsten; ›welche Präfation?‹ hat er ins Schlafzimmer seiner Frau hinübergerufen. Ich erschieß nicht den Dicksack da auf dem Schimmel; ich schieß nicht ins
    -276-

    Museum - nur eine kleine Wendung, und höchstens sechs Meter Entfernung, eine vorzügliche Treffsicherheit; wozu soll mein siebzigjähriges Leben sonst noch nütze sein; nicht Tyrannenmord, sondern Anständigenmord - der Tod wird das große Staunen in sein Gesicht zurückbringen, komm, zittere nicht, Liebster, ich will das Lösegeld zahlen; das macht mir Spaß, ruhig atmen, ins Ziel gehen, Druckpunkt nehmen - du brauchst dir nicht die Ohren zuzuhalten, Liebster, das knallt nicht lauter, als wenn ein Luftballon platzt; Vigil des fünfzehnten Sonntags nach Pfingsten...
    -277-

    13
    Die eine war blond, die andere braun, beide waren schlank, beide lächelnd, und beiden war rotbrauner Tweed zu kleidsamer Tracht angemessen worden, beiden wuchs aus schneeweißem Kragen der hübsche Hals wie der Schaft einer Blume hervor; sie sprachen es fließend und akzentfrei: Französisch und Englisch, Flämisch und Dänisch und sprachen fließend und akzentfrei auch ihre Muttersprache: Deutsch; hübsche Nonnen des Nichts, auch des Lateinischen mächtig, warteten sie im Personalraum hinter der Kasse, bis die Besucher zu Gruppen von zwölf sich an der Barriere gesammelt hatten; sie drückten mit spitzem Absatz ihre Zigarettenkippen aus, erneuerten mit gekonntem Schwung ihr Lippenrot, bevor sie nach draußen traten, die Nationalität der Führungssüchtigen zu ermitteln; lächelnd die Frage nach Herkunftsland und Muttersprache, akzentfrei, und die Führungssüchtigen taten es mit erhobenem Finger kund: sieben sprachen Englisch, zwei Flämisch, drei Deutsch; dann noch die fröhlich gestellte Frage, wer des Lateinischen mächtig sei; zögernd hob Ruth ihren Finger; nur einer? Sanft nur erschien auf dem hübschen Gesicht ein Schimmer von Trauer über die geringe Ausbeute an humanistisch Geschulten, nur eine konnte die metrische Exaktheit würdigen, mit der sie den Grabspruch zitieren würde? Lächelnd, die Stablampe wie einen Degen gesenkt, stieg sie als erste die Treppe hinab; es roch nach Beton und Mörtel, roch gruftig, obwohl ein leichtes Surren vom Vorha ndensein einer Klimaanlage kündete; akzentfrei erklang es: englisch, flämisch und deutsch; das Ausmaß grauer Quadern wurde bekannt gegeben, die Breite der römischen Straße - dort eine Treppe aus dem zweiten Jahrhundert - ein Thermalbad aus dem vierten - sehen Sie, dort haben gelangweilte Wachtposten sich ein Mühlespiel in einen Sandsteinquader geritzt - (wie hatte der Kursleiter gesagt? - ›immer das Menschliche betonen‹) - hier haben römische Kinder Murmeln gespielt, beachten Sie bitte die makellose Verfugung der Pflastersteine; eine Abflußrinne:
    -278-

    römisches Waschwasser, römisches Spülwasser war diese graue Rinne hinabgeflossen; die Reste eines kleinen, privaten Venustempels, den der Herr Statthalter sich errichten ließ; im Neonlicht das Grinsen der Geführten, flämisches, englisches Grinsen - grinsten die drei jungen Deutschen tatsächlich nicht?
    Woher die Tiefe der Fundamente zu erklären sei? Nun, der Boden war zur Bauzeit mit ziemlicher Sicherheit noch sumpfig, Grundwasser des Stroms gurgelten grün um graues Gestein.
    Hören Sie das Fluchen germanischer Sklaven? Schweiß floß über blonde Brauen in helle Gesichter,

Weitere Kostenlose Bücher