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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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um neun Uhr zum Kartenspiel aufs Zimmer, jawohl; so, der Herr M. ist schon da? - gefällt mir nicht, der Herr M., ohne ihn gesehen zu haben, sprech ich ihm mein Mißfallen aus; jawohl, der Herr, Sekt auf Zimmer 211 und drei Partagas Eminentes; an ihrem Zigarrenaroma sollt ihr sie erkennen! Mein Gott, da kommt ja die ganze Sippe Fähmel.«
    Mädchen, Mädchen, was ist aus dir geworden! Als ich dich zum ersten Mal sah, das war bei der Kaiserparade 1908, da schlug mein Herz höher, obwohl ich wußte, daß Blümchen wie du nicht für unsereins wachsen; ich brachte den Rotwein aufs Zimmer, wo du mit Papa und Mama gesessen hast; Kind, Kind -
    wer hätte gedacht, daß aus dir mal eine waschechte Oma werden würde, Silberhaar und ganz verschrumpelt, dich könnte ich ja auf einer Hand ins Zimmer hinauftragen, und ich würde es tun, wenn es mir gestattet würde; wird aber nicht gestattet, altes Mädchen, schade, du bist immer noch hübsch.
    -271-

    »Herr Geheimrat, wir hatten Zimmer 212 für Sie und Ihre Gattin, pardon, für Ihre Gattin und Sie reserviert; Gepäck am Bahnhof? Nein? In der Wohnung was abzuholen? Auch nicht?
    Ach, nur für zwei Stunden, solange das Feuerwerk dauert, und um den Aufmarsch der Kämpfer zu sehen. Selbstverständlich ist im Zimmer Platz für sechs Personen, ein großer Balkon, und wenn Sie wünschen, lassen wir die Betten zusammenrücken.
    Nicht nötig? Hugo, Hugo, bring die Herrschaften auf Zimmer 212 und nimm eine Weinkarte mit; ich werde die jungen Herrschaften auf Ihr Zimmer weisen; selbstverständlich, Herr Doktor, das Billardzimmer ist für Sie und Herrn Schrella reserviert, ich werde Hugo für Sie loseisen; ja, er ist ein braver Junge, der hat den halben Nachmittag am Telefon gehangen, immer wieder gewählt; ich glaube, der vergißt Ihre Telefonnummer und die von der Pension Modern im Leben nicht mehr; warum der Kampfbund heute marschiert?
    Geburtstag irgendeines Marschalls - ich glaube, des Helden vom Husenwald; wir werden das herrliche Lied zu hören bekommen:
    ›Vaterland, es knirscht in deinem Gebälk‹; na, lassen wir's knirschen, Herr Doktor. Wie? Immer geknirscht? Wenn Sie mir gestatten wollen, hier eine persönliche politische Meinung zu äußern, so würde ich sagen: Vorsicht, wenn's wieder knirscht; Vorsicht!«
    »Hier hab ich schon einmal gestanden«, sagte sie leise, »hab dir zugeschaut, wie du unten vorbeimarschiert bist, bei der Kaiserparade im Januar 1908; Kaiserwetter, Liebster, klirrender Frost - so nennt man's, glaube ich, in Gedichten; ich habe gezittert, ob du die letzte, schwerste aller Proben bestehen würdest: die Uniformprobe; nebenan auf dem Balkon stand der General und prostete Papa, Mama und mir zu; du hast die Probe damals bestanden, Alter; sieh mich nicht so lauernd an - ja, lauernd, so hast du mich noch nie angesehen; leg deinen Kopf in meinen Schoß, rauch deine Zigarre und verzeih mir, wenn ich zittere: ich habe Angst; hast du das Gesicht des Jungen gesehen?
    -272-

    Könnte er nicht Ediths Bruder sein? Ich habe Angst und da mußt du verstehen, daß ich noch nicht in unsere Wohnung zurückgehen kann, vielleicht nie wieder; ich kann nicht wieder in den Zirkel treten - ich habe Angst, viel mehr als damals; ihr habt euch offenbar an die Gesichter schon gewöhnt, aber ich fange an, mich nach meinen harmlosen Irren zurückzusehnen; seid ihr denn blind? so leicht zu täuschen? Die werden euch für weniger als eine Handbewegung, für weniger als ein Butterbrot umbringen! Du brauchst nicht einmal mehr dunkelhaarig oder blond zu sein, brauchst nicht mehr den Taufschein deiner Urgroßmutter - die werden euch umbringen, wenn ihnen eure Gesichter nicht gefallen; hast du denn nicht die Plakate an den Wänden gesehen? Seid ihr denn blind? Da weißt du ja einfach nicht mehr, wo du bist; ich sag, Liebster, die haben doch alle vom Sakrament des Büffels gegessen; dumm wie Erde, taub wie ein Baum, und so schrecklich harmlos wie die letzte Inkarnation des Büffels; anständig, anständig; ich habe Angst, Alter - nicht einmal 1935 und nicht 1942 habe ich mich so fremd unter den Menschen gefühlt; mag sein, daß ich Zeit brauche, aber da werden Jahrhunderte nicht ausreichen, mich an die Gesichter zu gewöhnen; anständig, anständig und keine Spur von Trauer im Gesicht; was ist ein Mensch ohne Trauer? Gib mir noch ein Glas Wein und schau nicht mißtrauisch auf meine Handtasche; ihr habt die Medizin gekannt, aber anwenden muß ich sie selber; du hast ein reines Herz und ahnst

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