Billard um halbzehn
die hier würden dir tatsächlich für nur fünf Zigaretten ihre Großmutter verkaufen; sie nehmen nämlich auch ihren Snobismus ernst; später sprachen sie über Schulen, die einen waren fürs Humanistische, die anderen waren dagegen; na schön. Ich lauschte, weil ich so gern etwas von wirklichen Sorgen erfahren hätte; immer wieder flüsterten sie einander ehrfürchtig den Namen des Stars zu, den sie an diesem Abend erwarteten. Kretz - hast du den Namen schon mal gehört?«
»Kretz«, sagte Robert, »ist sozusagen ein Star der Opposition.« »Das Wort ›Opposition‹ hörte ich immer wieder, aber aus ihrem Gespräch wurde mir nicht klar, wem ihre Opposition gilt.«
»Wenn sie auf Kretz warteten, müssen sie von der Linken gewesen sein.«
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»Ich habe wohl recht gehört: dieser Kretz ist eine Art Berühmtheit, das, was man eine Hoffnung nennt?«
»Ja«, sagte Robert, »sie versprechen sich viel von ihm.«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte Schrella, »er kam als letzter; wenn der eine Hoffnung ist, möchte ich wissen, was eine Verzweiflung sein könnte...; ich glaube, wenn ich mal jemand umbringen würde, dann ihn. Seid ihr denn alle blind? Der ist natürlich klug und gebildet, zitiert dir den Herodot im Original, und das klingt in den Ohren dieses Fußvolks, das seinen Bildungsfimmel nie los wird, natürlich wie göttliche Musik; aber ich hoffe, Robert, du würdest deine Tochter oder deinen Sohn nicht eine Minute mit diesem Kretz allein lassen; der weiß vor Snobismus ja gar nicht mehr, welches Geschlecht er hat. Die spielen Untergang, Robert, aber sie spielen ihn nicht gut, da fehlt nur das Largo, und du hast ein Begräbnis dritter Klasse...«
Das Klingeln des Telefons unterbrach Schrella, er folgte Robert, der in die Ecke ging und den Hörer abnahm.
»Leonore?« sagte Robert, »ich freue mich, daß mein Vater Sie eingeladen hat, und entschuldigen Sie bitte, was ich heute morgen gesagt habe, Leonore, ja? Mein Vater erwartet Sie auf Zimmer 212. Ein Brief von Herrn Schrit? Alle Unterlagen für x 5 falsch errechnet? Ja, ich werde mich drum kümmern, Schrit anrufen. Jedenfalls danke, Leonore, und bis nachher.«
Robert legte den Hörer auf und wandte sich wieder Schrella zu: »Ich glaube«, sagte er - aber ein fremdes, nicht sehr lautes, sprödes Geräusch unterbrach ihn.
»Mein Gott«, sagte Schrella, »das war ein Schuß.«
»Ja«, sagte Robert, »das war ein Schuß. Ich glaube, wir müssen jetzt nach oben gehen.«
Hugo las: ›Verzichterklärung: Ich erkläre mich damit einverstanden, daß mein Sohn Hugo...‹; gewichtige Stempel darunter, Unterschriften, aber die Stimme, vor der er sich gefürchtet hatte, meldete sich nicht; welche Stimme war es
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gewesen, die ihm befohlen hatte, Mutters Blöße zu bedecken, wenn sie von ihren Streifzügen heimkehrte, auf dem Bett liegend die tödliche Litanei des Wozuwozuwozu murmelte?
Mitleid hatte er gespürt, ihre Blöße bedeckt, ihr zu trinken gebracht, hatte sich, auf die Gefahr hin, von ihnen überfallen, geprügelt und Lamm Gottes gerufen zu werden, in den Laden geschlichen und zwei Zigaretten erbettelt; welche Stimme war es gewesen, die ihm befahl, mit So-was-sollte- nicht-geboren-werden Canasta zu spielen; die ihn warnte, das Zimmer der Schafspriesterin zu betreten; die ihm jetzt eingab, das Wort vor sich hinzumurmeln: Vater? Um die Furcht, die ihn befiel, zu verringern, warf er andere Worte hinterher: Bruder und Schwester, Großvater, Großmutter und Onkel, aber diese Worte verringerten die Furcht nicht; er warf mehr Worte hinterher: Dynamik und Dynamit, Billard und korrekt, Narben auf dem Rücken, Cognac und Zigaretten, rot über grün, weiß über grün, aber die Furcht wurde nicht geringer; vielleicht würden Handlungen sie mildern: das Fenster geöffnet, hinuntergeblickt auf die murmelnde Menschenmenge; war es ein drohendes oder freundliches Murmeln? Feuerwerk am dunkelblauen Himmel; Donnerschläge, aus denen riesige Blumen hervorbrachen; orangefarbene Garben, die wie greifende Hände waren; Fenster geschlossen; über die violette Uniform gestrichen, die am Kleiderbügel vor der Tür hing; Flurtür geöffnet: Erregung war bis hier oben zu spüren: Ein Schwerverletzter auf Zimmer 211!
Stimmengebrodel, Schritte hin, Schritte her, rauf und runter, und immer wieder die eine durchdringende Polizeistimme: »Weg da!
Weg da!«
Weg hier! Weg! Hugo hatte Angst, und er flüsterte das Wort:
»Vater.« Der Direktor hatte gesagt: »Du wirst uns fehlen,
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