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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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hätten jetzt Trommeln dröhnen müssen; so stieg man Altarstufen hinauf, Schafottstufen, stieg auf Tribünen, um Orden umgehängt zu bekommen oder das Todesurteil zu empfangen; so wurde auch auf Liebhaberbühnen Feierlichkeit dargestellt, aber die da neben mir hergingen, waren keine Liebhaber: Brehmockel, Grumpeter und Wollersein. Museumswärter in Gala standen verlegen vor Rembrandts, van Dycks und Overbecks; an der Marmorbrüstung, im Dunkel vor dem Sitzungszimmer stand Meeser, hielt das silberne Tablett mit Cognacgläsern bereit, um uns vor der Urteilsverkündung einen Trank zu verabreichen; Meeser grinste mich an; wir hatten kein Zeichen verabredet, doch hätte er nicht jetzt eins geben können? Ein Kopfnicken, ein Kopfschütteln; ja oder nein? Nichts. Brehmockel flüsterte mit
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    Wollersein, Grumpeter fing ein Gespräch mit Meeser an, drückte eine Silbermünze in Meesers stumpfe Hände, die ich als Kind schon gehaßt hatte; ein Jahr lang hatte ich mit ihm zusammen in der Frühmesse gedient; Gemurmel alter Bauernfrauen im Hintergrund, hartnäckig beteten sie gegen die Liturgie an ihrem Rosenkranz. Heugeruch, Milchgeruch, Stallwärme, während ich mich mit Meeser nach vorn beugte, um beim mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa die Schuld unausgesprochener Sünden gegen die Brust zu trommeln, und wenn der Pfarrer die Altarstufen emporschritt, machten Meesers Hände, diese Hände, die jetzt Grumpeters Silbermünze fest umschlossen, obszöne Bewegungen; Hände, denen jetzt die Schlüssel zum städtischen Museum anvertraut waren, Schlüssel zu Holbein und Hals, Lochner und Leibl.
    Mit mir sprach keiner; mir blieb die kalte Marmorbrüstung, auf die ich mich lehnte; ich blickte hinunter in den Innenhof, wo ein bronzener Bürgermeister mit unerbittlichem Ernst seinen Wanst den Jahrhunderten hinhielt, ein marmorner Mäzen in einem vergeblichen Versuch zur Tiefsinnigkeit die Lider über seine Froschaugen senkte; leer waren die Denkmalsaugen, wie die Augen der römischen Marmormatronen, deren Augenpartien von den Leiden einer späten Kultur kündeten. Meeser schlurfte zu seinen Kollegen hinüber, Brehmockel, Grumpeter und Wollersein standen dicht beieinander; kalt und klar war der Dezemberhimmel über dem Innenhof; draußen gröhlten früh Betrunkene, rollten Droschken theaterwärts, zarte Frauengesichter unter resedafarbenem Schleier freuten sich auf
    ›La Traviata‹; zwischen Meeser und den drei Gekränkten stand ich wie ein Aussätziger, den zu berühren Tod bringt; sehnte mich nach der strengen Liturgie meines Tageslaufs, als ich die Fäden des Spiels noch allein gehalten hatte, Dasein und Nicht-Dasein noch hatte regeln, den Mythos dosieren können; ich war nicht mehr Herr des Spiels; Skandal; Gerücht; Abtschritte in meinem Atelier; Bauunternehmer ließen Freßkörbe in meinem
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    Atelier abgeben, goldene Taschenuhren in rotsamtenen Etuis, und einer schrieb mir: ›... und würde ich Ihnen die Hand meiner Tochter gewiß nicht verweigern...‹ Voll ist ihre Rechte von Geschenken.
    Ich würde keins annehmen, nicht einen Ziegelstein; ich liebte den Abt. Hatte ich wirklich in winzigen Augenblicken daran gedacht, bei ihm Domgreves Trick anzuwenden? Ich wurde schamrot, wenn ich daran dachte, daß ich es in winzigen Augenblicken wirklich gedacht haben könnte; das
    Unvorhergesehene war geschehen: ich liebte Johanna, die Kilbsche Tochter, und liebte den Abt; ich hatte schon um halb zwölf vorfahren, schon den Blumenstrauß abgeben, schon sagen dürfen: ›Ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter‹ - und Johanna war später augenzwinkernd hinzugekommen, hatte das Ja nicht gehaucht, sondern es deutlich ausgesprochen. Ich machte immer noch von fünf bis sechs meinen Spaziergang, spielte immer noch Billard im Klub der Reserveoffiziere, und mein Lachen, von dem ich jetzt großzügigere Rationen nahm, war durch Johannas Augenzwinkern gestärkt; ich sang immer noch freitags im Sängerbund: Tom, der Reimer.
    Langsam schob ich mich über die kalte Marmorbrüstung zu den drei Gekränkten hin, stellte das leere Cognacglas aufs Tablett zurück; würden sie vor dem Aussätzigen
    zurückweichen? Sie wichen nicht; erwarteten sie eine demütige Annäherung? ›Gestatten, daß ich mich bekannt mache: Fähmel.‹
    Mein Gott, war nicht jeder irgendwo hergelaufen, hatte nicht Grumpeter in jungen Jahren als Schweizer die Kühe des Grafen von Telm gemolken, Kuhmist auf duftende Erde gekarrt, bevor er seine Berufung zum Architekten

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