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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Seite sein; ich beschloß es end gültig, am 30. September 1907, nachmittags gegen halb vier.«
    »Ja, Leonore, bezahlen Sie das für mich; nehmen Sie Geld aus meiner Kassette da drüben, und geben Sie dem Mädchen zwei Mark Trinkgeld, ja, zwei Mark; Pullover und ein Rock von Hermine Horuschka für meine Enkelin Ruth, die ich heute zurückerwartet habe; Grün steht ihr gut; schade, daß die jungen Mädchen heute keine Hüte mehr tragen; ich habe immer so gern Hüte gekauft. Das Taxi ist bestellt? Danke, Leonore. Sie wollen noch nicht Schluß machen? Wie Sie wollen; natürlich, ein bißchen ist es auch Neugierde, nicht wahr? - Sie brauchen nicht rot zu werden. Ja, einen Kaffee gern noch. Ich hätte mich erkundigen müssen, wann die Ferien zu Ende sind; aber Ruth ist zurück? Mein Sohn hat Ihnen nichts gesagt? Er wird doch die Einladung zu meiner Geburtstagsfeier nicht vergessen haben?
    Ich habe angeordnet, daß der Portier unten Blumen und Telegramme, Geschenke und Karten annimmt, jedem Boten zwei Mark Trinkgeld gibt und sagt, ich sei verreist; suchen Sie sich den schönsten Strauß, oder zwei, wenn Sie mögen, heraus,
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    und nehmen Sie die mit nach Hause, und wenn es Ihnen Spaß macht, verbringen Sie getrost Ihren Nachmittag hier.« Die Tasse, mit Kaffee frisch gefüllt, bebte nicht mehr; offenbar hatte man aufgehört, Erbauliches oder Wahlplakate auf weißes Papier zu drucken; im Wechselrahmen das Bild unverändert: drüben der Dachgarten des Kilbschen Hauses, leer; an der Pergola müde Kapuzinerkresse; das Profil der Dächerlinie, im Hintergrund die Berge unter strahlendem Himmel: in diesem Wechselrahmen sah ich meine Frau, sah später meine Kinder, sah meine Schwiegereltern, wenn ich manchmal ins Atelier hinaufging, um den fleißigen jungen Architekten, die mir halfen, hin und wieder über die Schulter zu blicken, Kalkulationen zu prüfen, Termine zu bestimmen; die Arbeit war mir so gleichgültig wie das Wort Kunst; andere konnten sie ebenso tun wie ich, ich bezahlte sie gut; ich verstand die Fanatiker nie, die sich dem Wort Kunst opferten; ich half ihnen, belächelte sie, gab ihnen Arbeit, aber verstehen: nie; ich begriff's nicht, begriff nur, was Handwerk war, obwohl ich als Künstler galt, als solcher bewundert wurde; war die Villa, die ich für Gralduke baute, nicht wirklich kühn, modern? Sie war's, wurde sogar von den künstlerischen Kollegen bewundert und gepriesen, und ich hatte sie entworfen, gebaut und wußte doch nie, was Kunst ist; sie nahmen's zu ernst, vielleicht, weil sie so viel davon verstanden, und bauten doch scheußliche Kästen, von denen ich damals schon wußte, daß sie zehn Jahre später Ekel hervorrufen würden; und ich konnte doch manchmal die Ärmel hochkrempeln, mich hier an den Zeichentisch stellen und entwerfen: das Verwaltungsgebäude für die ›Societas, die Gemeinnützigste der Gemeinnützigen‹, da staunten die Narren, die mich für einen geldgierigen, erfolgshungrigen Bauernlümmel hielten, und heute noch schäme ich mich des Kastens nicht, der vor sechsundvierzig Jahren gebaut worden ist; ist das Kunst? Meinetwegen, ich wußte nie, was das war, hab sie vielleicht gemacht, ohne es zu wissen; konnte das Wort nie ernst nehmen, sowenig wie ich die Wut der
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    drei Koryphäen gegen mich verstand; mein Gott, war kein Spielchen erlaubt, mußten die Goliathe so humorlos sein? Sie glaubten an Kunst, ich nicht, fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt von einem Hergelaufenen. Wer war nicht irgendwo
    hergelaufen? Ich zeigte mein Lachen offen, ich hatte sie in eine Situation manövriert, wo selbst meine Niederlage noch ein Sieg werden würde, mein Sieg aber ein Triumph. Ich hatte fast Mitleid mit ihnen, als wir die Treppe im Museum hinaufgingen, hatte Mühe, meinem Schritt jenen würdigen Rhythmus der Feierlichkeit zu geben, den die Gekränkten schon gewöhnt waren; Schritt, mit dem man Domtreppen hinaufging, hinter Königen und Bischöfen; Denkmaleinweihungsschritt, abgemessene Erregung, nicht zu langsam, nicht zu schnell; wissen, was Würde ist; ich wußte es nicht, wäre am liebsten wie ein junger Hund die Treppe hinaufgerannt, die steinernen Stufen, an den Statuen römischer Legionäre vorbei, deren abgebrochene Schwerter, Lanzen oder Rutenbündel man für Fackeln hätte halten können; an Cäsarenbüsten, Nachbildungen von Kindergräbern vorbei in den ersten Stock, wo das Sitzungszimmer zwischen den Niederländern und den Nazarenern lag; Bürgerernst; irgendwo im Hintergrund

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