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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Gesicht.
    -174-

    »Ich dachte an Ruth und Joseph; du weißt doch, daß Joseph ein Mädchen hat?«
    »Nein.«
    Der Alte senkte den Blick wieder, ließ wieder das Bierglas kreisen.
    »Ich hatte immer gehofft, daß meine beiden Güter hier draußen so etwas wie eure zweite Heimat werden würden, aber ihr habt alle immer lieber in der Stadt gewohnt, sogar Edith - bei Joseph erst scheint sic h mein Traum zu erfüllen; merkwürdig, daß ihr alle immer glaubt, daß er Edith gleicht und nichts von uns hat - und doch gleicht er Heinrich so sehr, daß ich manchmal erschrecke, wenn ich deinen Jungen sehe; Heinrich, wie der geworden wäre - erinnerst du dich an ihn?«
    Brom hieß unser Hund; und ich hielt die Zügel der Kutsche, sie waren aus schwarzem Leder; sie waren brüchig; muß haben ein Gewehr, muß haben ein Gewehr; Hindenburg.
    »Ja, ich erinnere mich an ihn.«
    »Er gab mir den Bauernhof, den ich ihm schenkte, zurück; wem soll ich ihn nun schenken? Joseph oder Ruth? Dir?
    Möchtest du ihn haben? Besitzer von Kühen und Wiesen, Zentrifugen und Rübenschnitzelmaschinen sein? Traktoren und Heuwendern? Soll ich's dem Kloster übermachen? Von meinem ersten Honorar kaufte ich die beiden Bauernhöfe! Ich war neunundzwanzig, als ich die Abtei baute, und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was es für einen jungen Architekten bedeutet, einen solchen Auftrag zu bekommen. Skandal. Sensation. Nicht nur deswegen fahre ich so oft hin, um mich an die Zukunft zu erinnern, die inzwischen längst Vergangenheit geworden ist. Ich hatte immer gedacht, im Alter so etwas wie ein Bauer zu werden. Ich bin es nicht geworden, nur ein alter Narr, der mit seiner Frau Blindekuh spielt; wir halten uns abwechselnd die Augen zu, wechseln die Zeiten wie die Scheiben in den Apparaten, mit denen man Bilder an die Wand wirft: bitte: das
    -175-

    Jahr 1928 - zwei hübsche Söhne an der Hand der Mutter; der eine dreizehn Jahre, der andere elf; der Vater mit der Zigarre im Mund daneben, lächelnd; im Hintergrund der Eiffelturm - oder ist es die Engelsburg, vielleicht das Brandenburger Tor? - such dir die Kulisse aus; vielleicht auch die Brandung in Ostende oder der Turm von Sankt Severin, die Limonadenbude im Blessenfelder Park? Nein, es ist natürlich die Abtei Sankt Anton: du findest sie im Fotoalbum zu allen Jahreszeiten: nur die Mode, die wir tragen, wechselt: deine Mutter mit großem, mit kleinem Hut, mit kurzem, mit langem Haar, mit weitem, mit engem Rock, und ihre Kinder drei und fünf, fünf und sieben Jahre alt; dann taucht eine Fremde auf: blond, jung, trägt ein Kind auf dem Arm, hält das andere an der Hand; ein Jahr, drei Jahre sind die Kinder alt; weißt du, daß ich Edith geliebt habe, wie ich eine Tochter nicht hätte lieben können; ich konnte nie glauben, daß sie wirklich einen Vater, eine Mutter gehabt hat -
    einen Bruder. Sie war eine Botin des Königs; als sie bei uns lebte, konnte ich seinen Namen wieder denken, ohne zu erröten, konnte den Namen beten - welche Botschaft hat sie dir gebracht, dir übergeben? Rache für die Lämmer? Ich hoffe, du hast den Auftrag getreulich ausgeführt, keine falschen Rücksichten genommen, wie ich sie immer nahm, nicht in den Eisschränken der Ironie das Gefühl der Überlegenheit frisch erhalten, wie ich es immer tat. Hat sie diesen Bruder wirklich gehabt? Lebt er?
    Gibt es ihn?«
    Er zog Kreise mit seinem Bierglas, starrte auf die rot-weiß karierte Tischdecke, hob den Kopf nur ein wenig.
    »Sag doch: gibt es ihn wirklich? Er war doch dein Freund; ich habe ihn einmal gesehen; ich stand am Schlafzimmerfenster und sah ihn über den Hof auf dein Zimmer gehen; ich habe ihn nie vergessen, oft an ihn gedacht, obwohl ich ihn kaum zehn oder zwanzig Sekunden lang gesehen haben kann; ich hatte Angst vor ihm wie vor einem dunklen Engel. Gibt es ihn wirklich?«
    »Ja.«
    -176-

    »Er lebt?«
    »Ja. Angst hast du vor ihm?«
    »Ja. Vor dir auch. Wußtest du es nicht? Ich will nicht wissen, welche Botschaft Edith dir gab; nur: hast du sie ausgeführt?«
    »Ja.«
    »Gut. Du bist erstaunt, daß ich Angst vor dir hatte - ein wenig noch habe. Ich lachte über eure kindlichen Konspirationen, aber das Lachen blieb mir im Halse stecken, als ich las, daß sie den Jungen getötet hatten; er hätte Ediths Bruder sein können, aber später wußte ich, daß es fa st noch human gewesen war, einen Jungen zu töten, der immerhin eine Bombe geworfen und die Füße eines Turnlehrers versengt hatte; der Junge, der deine

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