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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Tisch, nahm seins in die Hand.
    »Auf das Wohl Ihrer Mutter, Mull«, sagte der alte Fähmel. Sie hoben ihre Gläser, tranken einander zu, setzten die Gläser ab.
    »Wissen Sie eigentlich«, sagte der Alte, »daß Ihre Mutter mir vor fünfzig Jahren Kredit gab, wenn ich durstig und hungrig von Kisslingen herüberkam; damals wurde die Bahnstrecke repariert, und es machte mir noch nichts aus, vier Kilometer zu laufen; auf Ihr Wohl, Mull, und das Ihrer Mutter. Dies ist mein Sohn, Sie kennen ihn noch nicht?«
    » Fähmel - angenehm.«
    »Mull - angenehm.«
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    »Sie kennt hier jedes Kind, Herr Rat, jedermann weiß, daß Sie unsere Abtei gebaut haben, und manche Großmutter weiß noch Geschichten von Ihnen zu erzählen; wie Sie ganze
    Wagenladungen Bier für die Maurer bestellten und beim Richtfest ein Solo getanzt haben. Diesen Schluck auf Ihr Wohl, Herr Rat.«
    Sie tranken im Stehen die Gläser aus; Robert, mit dem leeren Glas in der Hand, starrte dem Wirt nach, der zur Theke zurückging, die leeren Teller des Pärchens in die Durchreiche schob, dann mit dem jungen Mann abrechnete. Sein Vater zog ihn am Rock.
    »Komm«, sagte der Alte, »setz dich doch, wir haben noch zehn Minuten Zeit. Das sind prächtige Leute, die haben das Herz auf dem rechten Fleck.«
    »Und du hast keine Angst vor ihnen, nicht wahr, Vater?«
    Der Alte blickte seinen Sohn voll an; sein schmales noch glattes Gesicht lächelte nicht.
    »Diese Leute waren es«, sagte Robert, »die Hugo quälten -
    vielleicht war auch einer von ihnen Ferdis Henker!«
    »Während du weg warst und wir auf Nachricht von dir warteten, hatte ich Angst vor jedem Menschen - aber vor Mull Angst haben? Hast du Angst vor ihm?«
    »Ich frage mich bei jedem Menschen, ob ich ihm ausgeliefert sein möchte, und es gibt nicht viele, bei denen ich sagen würde: ja.«
    »Und Ediths Bruder warst du ausgeliefert?«
    »Nein. Wir bewohnten in Holland ein Zimmer gemeinsam, teilten alles, was wir hatten, spielten den halben Tag Billard, studierten die andere Hälfte des Tages; er Deutsch, ich Mathematik; ich war ihm nicht ausgeliefert, würde mich ihm aber jederzeit ausliefern - auch dir, Vater.« - Robert nahm die Zigarette aus dem Mund. - »Ich würde dir gern zu deinem
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    achtzigsten Geburtstag etwas schenken, Vater - dir beweisen, nun, vielleicht weißt du, was ich dir beweisen möchte?«
    »Ich weiß es«, sagte der Alte, legte die Hand auf den Arm seines Sohnes, »du brauchst es nicht auszusprechen.«
    Ein paar Reuetränen würde ich dir gern schenken, aber ich kann sie nicht erzwingen, ich blicke immer noch auf den Turm von Sankt Severin wie auf eine Beute, die mir entgangen ist; schade, daß es dein Jugendwerk sein mußte, das große Los, das erste große Spiel; und gut gebaut, solides Mauerwerk, statisch vorzüglich; zwei Lastwagen voll Sprengstoff mußte ich anfordern und ging rund, zeichnete mit Kreide meine Formeln und Zeichen an die Wände, an die Säulen, an Gewölbestützen, zeichnete sie an das große Abendmahlsbild, zwischen Sankt Johanns und Sankt Peters Fuß; ich kannte die Abtei so gut; du hattest es mir als Kind, als Junge, als Jüngling so oft erklärt - ich zeichnete meine Zeichen an die Wand, während der Abt, der als einziger dort geblieben war, neben mir herrannte, an meine Vernunft appellierte, an meine Religion; zum Glück war's ein neuer Abt, der mich nicht kannte. Er appellierte an mein Gewissen, vergebens; er kannte mich nicht als Forellen essenden Wochenendbesucher, als naturreinen Honig essenden, Butter aufs Landbrot schmierenden Sohn des Baumeisters, und während er mich anblickte, als wäre ich wahnsinnig, flüsterte ich es ihm zu: Es zittern die morschen Knochen;
    neunundzwanzig war ich, genauso alt wie du, als du die Abtei gebaut hast, und lauerte schon auf die Beute, die sich hinten am Horizont grau und schlank abzeichnete: Sankt Severin; aber ich wurde gefangengenommen, und der junge Mann verhörte mich, hier im Bahnhof von Denklingen, drüben am Tisch, der jetzt leer ist.
    »Woran denkst du«, fragte der Alte.
    »An Sankt Anton, ich bin so lange nicht dort gewesen.«
    »Freust du dich?«
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    »Ich freue mich auf Joseph, ich habe ihn so lange nicht gesehen.«
    »Ich bin ein wenig stolz auf ihn«, sagte der Alte, »er ist so frei und frisch und wird einmal ein tüchtiger Architekt werden; ein bißchen zu streng mit den Handwerkern, zu ungeduldig, aber ich erwarte von einem Zweiundzwanzigjährigen nicht Geduld - nun steht er unter

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