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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›ist nur die Umkehrung der Statik.
    Sozusagen ihr Reziprok.‹
    ›Verzeihen Sie‹, sagte der junge Mann, ›in Mathematik war ich immer schwach.‹
    ›Und mir war sie immer ein reines Vergnügen.‹
    ›Ihr Fall beginnt, mich privat zu interessieren. Soll der Hinweis auf Ihre Liebe zur Mathematik bedeuten, daß bei der Sprengung ein gewisses berufliches Interesse vorlag?‹
    ›Vielleicht. Für einen Statiker ist es natürlich von hohem Interesse, zu wissen, welche Kräfte notwendig sind, die statischen Gesetze auszulöschen. Sie werden zugeben, daß es eine perfekte Sprengung war.‹
    ›Aber wollen Sie im Ernst behaupten, daß dieses sozusagen abstrakte Interesse eine Rolle gespielt haben könnte?‹
    ›Ja.‹
    ›Ich glaube, ich kann auf die politische Vernehmung nun doch nicht verzichten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß falsche Angaben zu machen sinnlos wäre; wir besitzen alle erforderlichen Unterlagen, um Ihre Aussage zu prüfen.‹
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    Es fiel ihm ein, in diesem Augenblick erst, daß Vater die Abtei vor fünfunddreißig Jahren gebaut hatte; sie hatten es so oft gehört und bestätigt bekommen, daß es schon nicht mehr wahr war, und er hatte Angst, der junge Mann würde es
    herausbekommen und glauben, die Erklärung gefunden zu haben: Vaterkomplex; vielleicht wäre es doch besser, dem jungen Mann zu sagen: weil sie die Lämmer nicht geweidet haben, und ihm damit einen handfe sten Grund zu geben, ihn für verrückt zu halten; aber er blickte nur durchs Fenster auf den schlanken Turm von Sankt Severin wie auf eine Beute, die ihm entgangen war, während der junge Mann ihm Fragen stellte, die er alle, ohne nachzudenken, mit Nein beantworten konnte.
    Das Mädchen schob den leergewordenen Teller von sich weg, nahm den des jungen Mannes, hielt die beiden Gabeln einen Augenblick in der rechten Hand, während sie mit der linken den Teller des jungen Mannes auf den ihren setzte, legte dann die beiden Gabeln auf den oberen Teller, die freigewordene Rechte auf den Unterarm des Jünglings und blickte ihm lächelnd in die Augen.
    ›Sie haben also keiner Organisation angehört? Lesen Hölderlin? Gut. Ich muß Sie vielleicht morgen noch einmal holen lassen.‹ Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest.
    Als sein Vater in den Gastraum trat, errötete er, ging auf den Alten zu, nahm ihm den schweren Hut aus der Hand und sagte:
    »Ich habe vergessen, dir zum Geburtstag zu gratulieren, Vater.
    Verzeih. Bier habe ich schon für dich bestellt, ich hoffe, es ist noch frisch genug, sonst...?«
    »Danke«, sagte der Vater, »Dank für die Glückwünsche, und laß das Bier nur, ich mag es gar nicht gern kalt.« Der Vater legte ihm die Hand auf den Oberarm, Robert errötete und dachte an die intime Geste, die sie in der Allee vor der Heilanstalt getauscht hatten; dort hatte er plötzlich das Bedürfnis gespürt, seinem Vater den Arm auf die Schulter zu legen, und der Vater
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    hatte diese Geste erwidert, während sie die Verabredung trafen, sich im Denklinger Bahnhof zu treffen.
    »Komm«, sagte Robert, »setzen wir uns, wir haben noch fünfundzwanzig Minuten Zeit.«
    Sie hoben ihre Gläser, nickten einander zu und tranken.
    »Eine Zigarre, Vater?«
    »Nein, danke. Weißt du übrigens, daß sich die Abfahrtszeiten der Züge in fünfzig Jahren kaum geändert haben? Sogar die Emailleschildchen mit den Uhrzeiten drauf sind noch die gleichen; an manchen ist nur das Emaille ein wenig abgesplittert.«
    »Die Stühle, die Tische, die Bilder an der Wand«, sagte Robert, »alles no ch wie früher, wenn wir an schönen Sommerabenden zu Fuß von Kisslingen herüberkamen und hier auf den Zug warteten.«
    »Ja«, sagte der Vater, »nichts ist verändert. Hast du Ruth angerufen; wird sie kommen? Ich habe sie so lange nicht gesehen.«
    »Ja, sie kommt; ich nehme an, sie sitzt schon im Zug.«
    »Wir können schon kurz nach halb fünf in Kisslingen sein, dort Kaffee trinken und bequem bis sieben wieder zu Hause. Ihr kommt zur Feier?«

»Selbstverständlich, Vater, hast du daran gezweifelt?«
    »Nein, aber ich dachte daran, sie ausfallen zu lassen, sie abzusagen - vielleicht ist es der Kinder wegen besser, das nicht zu tun, und ich habe so vieles vorbereitet für diesen Tag.«
    Der Alte senkte die Augen auf das rot-weiß karierte Tischtuch, zog dort Kreise mit seinem Bierglas; Robert bewunderte die glatte Haut an den Händen; Kinderhände, die ihre Unschuld behalten hatten; der Vater hob die Augen, blickte Robert ins

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