Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
Unschuldsbeteuerungen sind mir schon zu geläufig und offen gestanden auch zu langweilig. Ich habe schon zu meinen Kameraden gesagt, wir werden in diesem schönen Land nur fünf oder sechs, wenn's hochkommt neun Schuldige finden und uns fragen müssen, gegen wen wir diesen Krieg geführt haben: gegen lauter einsichtige, nette, intelligente, sogar kultivierte Menschen - bitte, beantworten Sie doch meine Frage! Warum, warum haben Sie es getan?‹
    Auf dem Platz des amerikanischen Offiziers saß jetzt das junge Mädchen, aß seine Frikadelle, nippte am Bier, kicherte; am Horizont konnte er den dunkelgrauen, schlanken Turm von Sankt Severin sehen, unversehrt.
    Sollte er sagen, daß er den Respekt vor kulturgeschichtlichen Denkmälern so rührend fände wie den Irrtum, anstatt lauter netten, einsichtigen Leuten Bestien zu erwarten? Ein Denkmal für Edith und Ferdi, für Schrella und dessen Vater, für Groll und den Jungen, der seine Papierchen in den Briefkasten geworfen, für den Polen Anton, der gegen Wakiera die Hand erhoben hatte und deshalb ermordet worden war, und für die vielen, die Es zittern die morschen Knochen gesungen hatten, nichts Besseres war ihnen beigebracht worden; ein Denkmal für die Lämmer, die niemand geweidet hatte.
    Wenn sie den Zug noch erwischen wollte, mußte seine Tochter Ruth jetzt am Portal von Sankt Severin vorbei zum Bahnhof laufen; mit ihrer grünen Mütze auf dem dunklen Haar, in ihrem rosaroten Pullover, erhitzt, glücklich, Vater, Bruder und Großvater zu treffen; Nachmittagskaffee in Sankt Anton vor der großen Geburtstagsfeier am Abend. Vater stand draußen im Schatten vor der Tafel und studierte die Abfahrtszeiten; gerötet das schmale Gesicht, liebenswürdig der alte, großzügig und
    -170-

    freundlich, der hatte nie vom Sakrament des Büffels gekostet, war mit dem Altern nicht bitter geworden; wußte er alles? Oder würde er es noch erfahren? Und sein Sohn Joseph, wie würde er es dem je erklären können? Schweigen war besser, als die Gedanken und Gefühle aktenkundig zu machen und den Psychologen auszuliefern.
    Er hatte es auch dem freundlichen jungen Mann nicht erklären können, der ihn kopfschüttelnd ansah, ihm die angebrochene Zigarettenschachtel über den Tisch zuschob; er nahm die Zigarettenpackung, sagte Dank, steckte sie in die Tasche, nahm sein Eisernes Kreuz von der Brust, schob es dem jungen Mann über den Tisch zu; das rot-weiß karierte Tischtuch beulte sich, er zog es wieder glatt, während der junge Mann errötete.
    ›Nein, nein‹, sagte Robert, ›verzeihen Sie mir meine Ungeschicklichkeit; ich wollte Sie nicht kränken, aber ich habe das Bedürfnis, Ihnen dies als Andenken zu schenken, Andenken an den, der die Abtei Sankt Anton gesprengt hat und diesen Orden dafür bekam; der sie gesprengt hat, obwohl er wußte, daß der General verrückt war, obwohl er wußte, daß die Sprengung weder taktisch noch strategisch einen Sinn hatte. Ich behalte Ihre Zigaretten gern - darf ich Sie bitten, zu glauben, daß wir nur als Gleichaltrige Geschenke gewechselt haben?‹
    Vielleicht hatte er es getan, weil ein halbes Dutzend Mönche damals zur Sonnwendfeier den Kosakenhügel hinaufgezogen waren und oben, als das Feuer aufloderte: Es zittern die morschen Knochen angestimmt hatten; Otto zündete das Feuer an, und er selber stand dabei, mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm, Joseph, dem blondgelockten, der vor Freude über das lodernde Feuer in die Hände klatschte; Edith, neben ihm, preßte seine rechte Hand; vielleicht auch, weil Otto ihm nicht einmal fremd gewesen war in einer Welt, in der eine Handbewegung das Leben kostete; rings ums Sonnwendfeuer die Dorfjugend aus Dodringen, Schaklingen, Kisslingen und Denklingen: die erhitzten Gesichter der jungen Männer und Mädchen leuchteten
    -171-

    wild im Sonnwendfeuer, das Otto hatte entzünden dürfen, und alle sangen, was der biedere Mönch, der dem biederen Ackerpferd die Sporen in die Flanken bohrte, anstimmte: Es zittern die morschen Knochen. Gröhlend, mit Fackeln in der Hand, zogen sie den Berg hinunter; sollte er dem jungen Mann sagen, daß er es tat, weil sie die Weisung Weide meine Lämmer nicht befolgt hatten; und daß er nicht eine Andeutung von Reue spüre; er sagte laut:
    ›Vielleicht war es nur ein Spaß, ein Spiel.‹
    ›Komische Späße, komische Spiele treibt ihr hier. Sie sind doch Architekt.‹
    ›Nein, Statiker.‹
    ›Nun ja, meinetwegen, das ist doch kaum ein Unterschied.‹
    ›Sprengen‹, sagte er,

Weitere Kostenlose Bücher