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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Termindruck; die Mönche würden so gern die Adventsliturgie schon in der neuen Kirche singen; natürlich werden wir alle zur Einweihung eingeladen.«
    »Ist der Abt noch da?«
    »Welcher?«
    »Gregor.«
    »Nein, er ist siebenundvierzig gestorben; er hat's nicht verwinden können, daß die Abtei zerstört wurde.«
    »Und du, hast du es verwinden können?«
    »Als ich die Nachricht bekam, daß sie zerstört war, hat es mich sehr getroffen, aber als ich dann hinfuhr und die Trümmer sah, und die Mönche aufgeregt waren und eine Kommission gründen wollten, um den Schuldigen herauszufinden, habe ich abgeraten; ich wollte keine Rache für ein Bauwerk, und ich hatte Angst, sie würden den Schuldigen finden, und er würde sich bei mir entschuldigen; das Sorry des Engländers klang mir noch zu schrecklich im Ohr; und schließlich kann man Gebäude wieder aufbauen. Ja, Robert, ich hab's verwunden. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe an den Gebäuden, die ich entworfen, deren Bau ich geleitet habe, nie gehangen; auf dem Papier gefielen sie mir, ich war mit einer gewissen Leidenschaft am Werk, aber ich war nie ein Künstler, verstehst du, wußte auch, daß ich keiner war; ich hatte ja meine Pläne noch, als sie mir den Wiederaufbau antrugen; für deinen Jungen ist es eine großartige Gelegenheit, sich praktisch zu üben, Koordinierung zu lernen und seine Ungeduld ein wenig zu verschleißen -
    müssen wir nicht zum Zug?«
    -182-

    »Noch vier Minuten, Vater. Wir könnten schon auf den Bahnsteig hinausgehen.«
    Robert stand auf, winkte zur Theke hin, griff nach seiner Brieftasche, aber der Wirt kam hinter der Theke hervor, ging an Robert vorüber, legte dem Alten lächelnd die Hand auf die Schulter und sagte: »Nein, nein, Herr Rat - Sie sind meine Gäste gewesen, das lasse ich mir nicht nehmen, um des Andenkens meiner Mutter willen.«
    Es war noch warm draußen; die weißen Rauchfahnen des Zuges waren schon über Dodringen zu sehe n.
    »Hast du Fahrkarten?« fragte der Alte.
    »Ja«, sagte Robert, er blickte dem Zug entgegen, der über die Steigung hinter Dodringen wie aus dem hellblauen Himmel heraus auf sie zukam; schwarz, alt und rührend war der Zug; der Bahnhofsvorsteher trat aus dem Dienstraum, mit seinem Wochenendlächeln auf dem Gesicht.
    »Hierher, Vater, hierher«, rief Ruth; ihre grüne Mütze, ihre winkenden Arme, der rosarote Flaum ihres Pullovers; sie hielt ihrem Großvater die Hände entgegen, half ihm auf die Plattform hinauf, umarmte ihn, schob ihn vorsichtig in die offene Abteiltür, zog ihren Vater hoch, küßte ihn auf die Wange.
    »Ich freue mich schrecklich«, sagte sie, »wirklich schrecklich auf Sankt Anton und auf heute abend.«
    Der Bahnhofsvorsteher pfiff und winkte dem Zug zur Abfahrt.
    -183-

    7
    Als sie an den Schalter traten, nahm Nettlinger die Zigarre aus dem Mund und nickte Schrella ermunternd zu; der Schalter wurde von innen hochgeschoben, ein Aufseher mit einer Liste beugte sich vor und fragte: »Sind Sie der Häftling Schrella?«
    »Ja«, sagte Schrella.
    Der Aufseher rief die Gegenstände, so wie er sie aus einem Karton nahm, auf, legte sie auf die Theke.
    »Eine Taschenuhr, Nickel, ohne Kette.«
    »Eine Geldbörse, schwarzes Leder, mit Inhalt: fünf englische Schillinge, dreißig belgische Franken, zehn deutsche Mark und achtzig Pfennig.«
    »Eine Krawatte, Farbe grün.«
    »Ein Kugelschreiber, ohne Marke, Farbe: grau.«
    »Zwei Taschentücher, weiß.«
    »Ein Mantel, Trenchcoat.«
    »Ein Hut, Farbe: schwarz.«
    »Ein Rasierapparat, Marke: Gilette.«
    »Sechs Zigaretten, Marke: Belga.«
    »Hemd, Unterwäsche, Seife und Zahnbürste hatten Sie behalten, nicht wahr? Bitte unterschreiben Sie hier und bestätigen mit Ihrer Unterschrift, daß nichts von Ihrem Privateigentum fehlt.«
    Schrella zog seinen Mantel an, steckte seine Habseligkeiten in die Tasche, unterschrieb die Liste: 6. September 1958, 15.3o Uhr.
    »Gut«, sagte der Aufseher und zog den Schalter herunter.
    Nettlinger steckte die Zigarre wieder in den Mund, berührte Schrellas Schulter: »Komm«, sagte er, »hier geht's raus, oder
    -184-

    möchtest du wieder ins Kittchen rein? Vielleicht bindest du die Krawatte besser schon um.«
    Schrella steckte sich eine Zigarette in den Mund, rückte seine Brille zurecht, klappte den Hemdkragen hoch und legte die Krawatte ein; er erschrak, als Nettlinger ihm plötzlich das Feuerzeug vor die Nase hielt.
    »Ja«, sagte Nettlinger, »das ist bei allen Häftlingen gleich, ob hohe oder

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