Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
schlanken Stift spielten, lag das Meßtischblatt der Gemarkung Kisslingen. Der Tisch hatte sich in den dreizehn Jahren nicht verändert; rechts an dem Tischbein, wo die staubigen Sandalen des jungen Mannes jetzt Halt suchten, immer noch die Initialen, von einem gelangweilten Fahrschüler eingeschnitten: J. D.; wahrscheinlich
    -167-

    hatte er Joseph Dodringer geheißen; auch die Tischtücher unverändert; rot-weiß kariert; die Stühle hatten zwei Weltkriege überdauert, astreines Buchenholz zu stabiler Sitzgelegenheit verarbeitet; seit siebzig Jahren dienten sie wartenden Bauernärschen; neu war nur die Kühlvitrine auf der Theke, wo krustige Frikadellen, kalte Koteletts und russische Eier auf Hungrige oder Gelangweilte warteten.
    »Bitte, der Herr, zwei Bier und zehn Zigaretten.«
    »Danke sehr!«
    Nicht einmal die Bilder an der Wand waren ausgewechselt; eine Luftansicht der Abtei Sankt Anton, noch mit der biederen Platte und dem schwarzen Tuch fotografiert, offenbar vom Kosakenhügel herunter; Kreuzgang und Refektorium, die gewaltige Kirche, Wirtschaftsgebäude; daneben hing ein verblaßter Farbdruck: Liebespaar am Feldrain; Ähren, Kornblumen, ein lehmig gelber, von Sonne ausgetrockneter Weg; neckisch kitzelte die Dorfschöne ihren Liebhaber, dessen Kopf in ihrem Schoß ruhte, mit einem Halm hinterm Ohr.
    ›Sie mißverstehen mich, Herr Hauptmann; wir würden so gerne wissen, warum Sie das getan haben; hören Sie? Wir kennen natürlich den Verbrannte- Erde-Befehl - Hinterlaßt dem Feind nur Trümmer und Leichen, nicht wahr? Aber ich glaube nicht, daß Sie es getan haben, um diesen Befehl zu befolgen; Sie sind - verzeihen Sie - zu intelligent, um das zu tun. Aber warum, warum haben Sie dann die Abtei gesprengt? Sie war in ihrer Art ein kulturgeschichtliches Denkmal ersten Ranges; jetzt, wo die Kampfhandlungen hier vorüber sind, und Sie unser Gefangener, der wohl kaum Gelegenheit haben wird, von unseren Rücksichten drüben zu erzählen - jetzt kann ich Ihnen gestehen, daß unser Kommandeur eher eine Verzögerung des
    Vormarsches um zwei, drei Tage in Kauf genommen hätte, als die Abtei auch nur anzutasten. Warum haben Sie die Abtei in die Luft gejagt, obwohl es doch taktisch und strategisch so
    -168-

    offensichtlich keinen Sinn hatte? Sie haben unseren Vormarsch nicht etwa behindert, sondern beschleunigt. Rauchen Sie?‹
    ›Ja, danke.‹
    Die Zigarette schmeckte, Virginia, würzig-kräftig.
    ›Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine. Bitte, sagen Sie doch etwas; ich sehe, daß wir fast gleichaltrig sind; Sie sind neunundzwanzig, ich siebenundzwanzig. Können Sie nicht begreifen, daß ich Sie verstehen möchte? Oder fürchten Sie die Folgen einer Aussage - Folgen bei uns oder bei Ihren Landsleuten?‹
    Aber wenn er es aussprechen würde, stimmte es nicht mehr; aktenkundig gemacht wäre es am wenigsten wahr: daß er auf diesen Augenblick fünfeinhalb Kriegsjahre gewartet hatte, auf den Augenblick, da die Abtei wie ein Gottesgeschenk als seine Beute dalag; ein Denkmal aus Staub und Trümmern wollte er denen setzen, die keine kulturgeschichtlichen Denkmäler gewesen waren und die man nicht hatte schonen müssen: Edith, von einem Bombensplitter getötet; Ferdi, ein Attentäter, rechtskräftig verurteilt; der Junge, der die winzigen Papiere mit seinen Botschaften in den Briefkasten geworfen hatte; Schrellas Vater, der verschwunden war; Schrella selbst, der so fern von dem Land leben mußte, in dem Hölderlin gelebt hatte; Groll, der Kellner im Anker, und die vielen, die hinausgezogen waren, singend: Es zittern die morschen Knochen; niemand würde für sie um Rechenschaft gefragt werden, niemand hatte sie etwas Besseres gelehrt; Dynamit, ein paar Formeln, das war seine Möglichkeit, Denkmäler zu setzen; und einen Sprengtrupp hatte er, der seiner Präzisionsarbeit wegen berühmt war: Schrit, Hochbret, Kanders. ›Wir wissen genau, daß Sie Ihren Vorgesetzten, General Otto Kösters, nicht ernst nehmen konnten; unsere Heerespsychiater haben einmütig - und wenn Sie wüßten, wie schwer es ist, unter amerikanischen Heerespsychiatern Einmütigkeit herzustellen -, sie haben ihn einmütig für verrückt, für seine Taten nicht verantwortlich
    -169-

    erklärt, und so fällt die Verantwortung auf Sie, Herr Hauptmann, da Sie eindeutig nicht verrückt und - ich will Ihnen das verraten
    - durch die Aussagen Ihrer Kameraden stark belastet sind. Ich will Ihnen gar nicht die Frage nach Ihrer politischen Anschauung stellen: die

Weitere Kostenlose Bücher