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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Zettelchen in unseren Briefkasten warf, der Pole, der gegen den Turnlehrer seine Hand hob - ein unangebrachtes Wimperzucken, Haarwuchs und Nasenform genügten, und nicht einmal das brauchten sie mehr: nur den Geburtsschein des Vaters oder der Großmutter; ich hatte mich jahrelang von meinem Lachen ernährt, aber diese Nahrung fiel aus, kein Nachschub mehr, Robert, und ich öffnete den Eisschrank, ließ die Ironie sauer werden und schüttete sie weg wie einen ekligen Rest von etwas, das einmal wertvoll gewesen sein mochte; ich hatte geglaubt, deine Mutter zu lieben und zu verstehen - aber jetzt erst verstand ich sie und liebte sie, verstand auch euch und liebte euch; später erst begriff ich es ganz; ich war obenauf, als der Krieg zu Ende war, wurde Baubeauftragter für den ganzen Bezirk; Frieden, dachte ich, es ist vorbei, neues Leben - als sich eines Tages der englische Kommandant sozusagen bei mir entschuldigte, daß sie die Honoriuskirche bombardiert und die Kreuzigungsgruppe aus dem zwölften Jahrhundert zerstört hatten; er entschuldigte sich nicht wegen Edith, nur wegen einer Kreuzigungsgruppe aus dem zwölften Jahrhundert; sorry; ich lachte zum ersten Mal wieder seit zehn Jahren, aber es war kein gutes Lachen, Robert - und ich legte mein Amt nieder; Baubeauftragter? Wozu? wo ich doch sämtliche Kreuzigungsgruppen aus sämtlichen
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    Jahrhunderten darum gegeben hätte, Ediths Lächeln noch einmal zu sehen, ihre Hand auf meinem Arm zu spüren; was bedeuteten mir die Bilder des Königs gegen das wirkliche Lächeln seiner Botin? Und für den Jungen, der deine Zettelchen brachte - ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen, nie seinen Namen erfahren -
    , hätte ich Sankt Severin hergegeben und gewußt, daß es ein lächerlicher Preis gewesen wäre, wie wenn man einem Lebensretter eine Medaille gibt; hast du Ediths Lächeln je wieder gesehen, oder das Lächeln des Tischlerlehrlings? Nur einen Abglanz davon? Robert! Robert!«
    Er ließ das Bierglas los, legte die Arme auf den Tisch.
    »Hast du es je gesehen?« fragte er murmelnd unter seinen Armen heraus.
    »Ich habe es gesehen«, sagte Robert, »auf dem Gesicht eines Hotelboys, der Hugo heißt - ich werde ihn dir zeigen.«
    »Ich werde diesem Jungen den Gutshof schenken, den Heinrich nicht wollte; schreib mir seinen Namen und seine Adresse auf den Bierdeckel; auf Bierdeckeln werden die wichtigsten Botschaften überbracht; und sag mir Bescheid, wenn du etwas von Ediths Bruder hörst. Lebt er?«
    »Ja. Hast du immer noch Angst vor ihm?«
    »Ja. Das Schreckliche an ihm war, daß er nichts Rührendes hatte; als ich ihn über den Hof gehen sah, wußte ich, daß er stark war, und daß er alles, was er tat, nicht aus Gründen tat, die für andere Menschen gelten konnten: daß er arm war oder reich, häßlich oder schön; daß seine Mutter ihn geschlagen oder nicht geschlagen hatte; lauter Gründe, aus denen irgendeiner irgend etwas tut: entweder Kirchen baut oder Frauen mordet, ein guter Lehrer wird oder ein schlechter Organist; bei ihm wußte ich: keiner dieser Gründe würde irgend etwas erklären; damals war die Zeit, in der ich noch lachen konnte, aber bei ihm fand ich keinen Spalt, wo ich mein Lachen hätte ansetzen können; das machte mir Angst, als wäre ein dunkler Engel über unseren Hof
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    gegangen, ein Gerichtsvollzieher Gottes, der dich pfändete; er hat es getan, hat dich gepfändet; er hatte nichts Rührendes; selbst als ich hörte, daß sie ihn geschlagen hatten und umbringen wollten, war ich nicht gerührt...«
    »Herr Rat, ich habe Sie jetzt erst erkannt; ich freue mich, Sie wohl zu sehen; es müssen Jahre her sein, daß Sie zuletzt hier waren.«
    »Ach, Mull, Sie sind's? Lebt Ihre Mutter noch?«
    »Nein, Herr Rat, wir haben sie unter die Erde bringen müssen.
    Es war ein riesiges Begräbnis. Sie hat ein volles Leben gehabt: sieben Kinder und sechsunddreißig Enkel, elf Urenkel; ein volles Leben. Tun die Herren mir die Ehre an, auf das Wohl meiner verstorbenen Mutter zu trinken?«
    »Mit Freuden, lieber Mull - sie war eine großartige Frau.«
    Der Alte stand auf, auch Robert erhob sich, während der Wirt zur Theke ging, die Biergläser vollaufen ließ; die Bahnhofsuhr zeigte erst zehn nach vier; zwei Bauern warteten an der Theke, schoben gelangweilt mit Senf beschmierte Frikadellen in ihre Münder, tranken mit wohligem Seufzen ihr Bier; mit rotem Gesicht, feuchten Augen kam der Wirt an den Tisch zurück, stellte die Biergläser vom Tablett auf den

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