Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
niedrige, ob schuldige oder unschuldige, arme oder reiche, politische oder kriminelle; zuerst die Zigarette.« Schrella zog den Zigarettenhauch tief ein, blickte über die Brillengläser hinweg Nettlinger an, während er seine Krawatte band, den Hemdkragen wieder herunterklappte.
    »Du hast Erfahrung in solchen Dingen, wie?«
    »Du nicht?« fragte Nettlinger. »Komm, den Abschied vom Direktor kann ich dir leider nicht ersparen.«
    Schrella setzte seinen Hut auf, nahm die Zigarette aus dem Mund und folgte Nettlinger, der ihm die Tür zum Hof aufhielt; der Direktor stand vor der Menschenschlange am Schalter, wo die Erlaubnisscheine für den Sonntagsbesuch ausgegeben wurden; der Direktor war groß, nicht zu elegant, aber solide gekleidet, seine Arm- und Beinbewegungen wirkten betont zivil, als er auf Nettlinger und Schrella zukam.
    »Ich hoffe«, sagte er zu Nettlinger, »es ist alles zu deiner Zufriedenheit abgelaufen, schnell und korrekt.«
    »Danke«, sagte Nettlinger, »es ging wirklich rasch.«
    »Schön«, sagte der Direktor, wandte sich Schrella zu: »Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen zum Abschied einige Worte sage, obwohl Sie nur einen einzigen Tag zu meinen« - er lachte - »Schützlingen gehörten, und obwohl Sie irrtümlich anstatt in die Untersuchungs- in die Strafabteilung geraten sind.
    Sehen Sie«, sagte er und deutete auf das innere Gefängnistor,
    »jenseits dieses Tores erwartet Sie ein zweites Tor, und jenseits dieses zweiten Tores erwartet Sie etwas Großartiges, das unser
    -185-

    aller höchstes Gut ist: die Freiheit. Mag der Verdacht, der auf Ihnen ruhte, berechtigt oder unberechtigt gewesen sein, Sie haben« - er lachte wieder - »in meinen gastlichen Mauern das Gegenteil von Freiheit kennengelernt. Nutzen Sie Ihre Freiheit.
    Wir sind zwar alle nur Gefangene, Gefangene unseres Leibes, bis zu dem Tage, da unsere Seele frei wird und sich zu ihrem Schöpfer erhebt, aber die Gefangenschaft innerhalb meiner gastlichen Mauern ist nicht nur eine symbolische. Ich entlasse Sie zur Freiheit, Herr Schrella...«
    Schrella streckte verlegen seine Hand hin, zog sie aber rasch zurück, da er am Gesicht des Direktors bemerkte, daß ein Händedruck hier offenbar nicht zu den Formalitäten gehörte; Schrella schwieg verlegen, nahm seine Zigarette aus der rechten in die linke Hand und blinzelte Nettlinger an.
    Die Mauern dieses Hofes, den Himmel darüber, hatten Ferdis Augen als letztes von dieser Erde gesehen, vielleicht war die Stimme des Direktors die letzte menschliche Stimme gewesen, die er hörte, auf diesem Hof, der eng genug war, um von Nettlingers Zigarrenaroma ganz erfüllt zu sein; die schnuppernde Nase des Direktors sagte: Mein Gott, von Zigarren hast du immer was verstanden, das muß man dir lassen.
    Nettlinger nahm die Zigarre nicht aus dem Mund. »Du hättest dir die Abschiedsrede sparen können. Also Dank und auf Wiedersehen.«
    Er faßte Schrella bei den Schultern, schob ihn auf das innere Tor zu, das sich vor ihnen öffnete; langsam schob Nettlinger Schrella auf das äußere Tor zu; Schrella blieb stehen, gab dem Beamten seine Papiere; der verglich sie genau, nickte und öffnete das Tor.
    »Da ist sie also«, sagte Nettlinger lachend, »die Freiheit.
    Drüben steht mein Auto, sag mir nur, wohin ich dich bringen soll.«
    -186-

    Schrella überquerte an Nettlingers Seite die Straße, zögerte, als ihm der Chauffeur die Autotür aufhielt. »Los«, sagte Nettlinger, »steig doch ein.«
    Schrella nahm den Hut ab, stieg ins Auto, setzte sich, lehnte sich zurück und blickte Nettlinger an, der nach ihm einstieg und in seine Nähe rückte.
    »Wohin möchtest du gebracht werden?«
    »Zum Bahnhof«, sagte Schrella.
    »Hast du Gepäck dort?«
    »Nein.«
    »Willst du diese gastliche Stadt etwa schon wieder verlassen?« fragte Nettlinger. Er beugte sich vor, rief dem Chauffeur zu: »Zum Hauptbahnhof.«
    »Nein«, sagte Schrella, »ich will diese gastliche Stadt noch nicht verlassen. Du hast Robert nicht erreicht?«
    »Nein«, sagte Nettlinger, »der macht sich rar. Den ganzen Tag hab ich versucht, ihn zu erreichen, er hat sich aber gedrückt, und als ich ihn im Hotel Prinz Heinrich fast erwischt hatte, ist er durch einen Nebenausgang verschwunden; ich habe seinetwegen höchst peinliche Dinge erleben müssen.«
    »Du hast ihn auch vorher nie getroffen?«
    »Nein«, sagte Nettlinger, »nicht ein einziges Mal; er lebt ganz zurückgezogen.«
    Das Auto hielt vor einer Verkehrsampel. Schrella nahm seine

Weitere Kostenlose Bücher