Bille und Zottel 01 - Pferdeliebe auf den ersten Blick
Pferde. So reinigte sie anschließend noch den Geräteschrank, stieg auf einen Schemel, um von der Lampe Fliegendreck und Staub zu entfernen und überlegte, was sie sonst noch tun könne, um ein bißchen länger in der Nähe ihrer Lieblinge zu bleiben. Warum sollte sie nicht mal die Fenster putzen? Petersen würde staunen, wenn er morgen früh in den Stall kam!
Als sie mit dem ersten Fenster fertig war, begannen ihr die Arme lahm zu werden, und sie bereute ihren Entschluß ein bißchen. Aber das zweite Fenster schmutzig lassen? Das kam nicht in Frage, da hatte sie auch ihren Stolz. Schlimm genug, daß sie an die Fenster, die hoch über den Boxen waren, nicht herankam. Die sahen schon aus wie Milchglasscheiben' Aber dazu hätte sie eine Leiter benötigt, das mußte sie sich für einen anderen Tag aufheben. Außerdem wurde das Licht allmählich schwächer, und im diffusen Zwielicht polierte sie die Scheiben wieder und wieder, damit das Werk auch vor Petersens Augen bestehen konnte.
Todmüde legte sie schließlich Lappen und Schwamm weg und stellte den Eimer an seinen Platz. Heute hatte sie wirklich einen langen Arbeitstag hinter sich. Bille war sehr zufrieden mit sich. Sie trat zu Zottel in die Box, um ihm gute Nacht zu sagen und legte ihr Gesicht zärtlich an seinen Hals.
„Gute Nacht, mein Dicker, schlaf gut. Uuaach ... am liebsten würde ich mich gleich neben dich legen, so müde bin ich. Na denn, tschüs —bis morgen.“
Gähnend verließ sie die Box und wollte den Riegel schließen. Ein nagelneuer Riegel, er saß noch so stramm, dal?) sie all ihre Kraft brauchte, um ihn zu bewegen, war angebracht worden.
„Verdammt, der klemmt schon wieder! Zu blöd, daß Hubert nicht mehr hier ist, ich hätte dran denken sollen, daß ich es allein nicht schaffe!“
Bille lief auf den Hof hinaus, um sich nach Hilfe umzusehen.
Auf dem Hof war alles still, die Arbeiter hatten längst Feierabend gemacht, und auch Frau Beck, die Sekretärin, war nach Hause gegangen. Bille überlegte, ob sie bei Herrn Lohmeier klingeln sollte, verwarf diesen Gedanken aber sofort. Nach einem Gespräch mit der giftigen Frau Lohmeier war ihr gar nicht zumute.
Ratlos kehrte sie in den Stall zurück. Was sollte sie tun? Es wurde höchste Zeit für sie, nach Hause zu gehen. Mutsch wartete sicher schon.
Noch einmal versuchte Bille, den Riegel zu bewegen. Vergeblich. Zottel hatte sich bereits niedergelegt und schaute kaum auf, als sie sich an der Tür zu schaffen machte. Ob er bis morgen früh durchschlafen würde? Warum nicht - er schlief oft noch, wenn sie morgens in den Stall kam. Und außerdem wußte er ja nicht, daß der Riegel nicht fest verschlossen war.
Als Bille aus dem Stall trat, sah sie drüben an der Garage Herrn Lohmeier, der gerade nach Hause gekommen war und seinen Wagen abschloß.
„Herr Lohmeier, ein Glück, daß ich sie treffe!“ rief Bille schon von weitem. „Ich bin noch ein bißchen im Stall geblieben, um die Fenster zu putzen, ich wollte Herrn Petersen morgen damit überraschen“, sprudelte sie hervor, „und jetzt bekomme ich den neuen Riegel an Zottels Box nicht richtig zu. Würden Sie mir helfen?“
„In Ordnung, Mädchen, das werden wir gleich haben. Ich muß nur schnell einmal ins Haus. . .“
„Wird es lange dauern? Ich bin verflixt spät dran, Mutsch wird schon böse sein.“
„Weißt du was? Fahr du nur schon nach Hause, ich kümmere mich gleich darum.“
„Danke, Herr Lohmeier!“
Leider hielt Herr Lohmeier sein Versprechen nicht. Als er ins Haus trat, lief im Fernsehen gerade sein Lieblingskrimi. Eine Weile stand er — die Türklinke in der Hand, den Hut auf dem Kopf—im Zimmer und starrte auf die Mattscheibe, dann setzte er sich, magisch angezogen von dem Geschehen auf dem Bildschirm, in seinen Lieblingssessel. Schließlich nahm er den Hut ab, und als seine Frau ihm sein allabendliches Bier brachte, waren Zottel, der offene Riegel und die weit offenstehende Stalltür vergessen.
Weder Bille noch Herr Lohmeier ahnten zu dieser Stunde, daß das Unheil bereits vor der Tür stand.
Nicht vor der Stalltür. Das Unheil wartete wenige Meter von der Abromeitschen Ladentür entfernt in Gestalt von Kalle Ungeheuer, wegen schweren Raubes zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und heute morgen aus der Haftanstalt entflohen. Als blinder Passagier verschiedener Lastwagen war er bis nach Wedenbruck gelangt, wo er erst einmal eine Pause einlegte, um sich Verpflegung und einen neuen Anzug zu organisieren.
Er hatte
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