Bille und Zottel 02 - Zwei unzertrennliche Freunde
ehrlich zu sein, ich mag sie nicht so besonders, sie —sie machen so einen überheblichen Eindruck. Aber vielleicht bin ich auch nur sauer, weil sie mich neulich beim Erntefest besiegt haben. Beim Ringstechen, weißt du... Schade, daß du nicht dabei warst, es hätte dir sicher gefallen. Aber nächstes Jahr! Dann können wir gemeinsam gegen die drei antreten. Wir werden vorher tüchtig trainieren und sie haushoch besiegen, nicht wahr?“
„Warum laßt ihr mich nicht in Ruhe!“ sagte Bettina plötzlich rauh . Es kam so unvermutet, daß Bille zusammenschrak und Bettina hilflos anstarrte, ohne ein weiteres Wort herauszubringen.
Das Schweigen war erdrückend. Bille sah sich ratlos im Zimmer um. Sicher war dies vorher ein Gästezimmer gewesen, es war vollgestellt mit schweren dunklen Möbeln und sah aus, als wäre hier seit hundert Jahren nichts mehr verändert worden. Ob Frau Henrich gar nicht aufgefallen war, wie trübsinnig so ein Zimmer einen machen konnte? Aber wahrscheinlich war das ganze Haus so eingerichtet und die Bewohner waren nichts anderes gewöhnt.
„Weißt du, was ich an deiner Stelle machen würde?“ sagte Bille. „Einen großen Topf sonnengelber Farbe nehmen und die Möbel anstreichen!“
Bettina sah sie zum erstenmal an.
„Zu Hause hatte ich leuchtend gelbe Möbel“, sagte sie dumpf, „und die Vorhänge und Kissen waren orange und apfelgrün. Es sah aus wie ein Frühlingstag, alles hat geleuchtet...“ Sie drehte sich zur Wand und begann leise zu schluchzen.
Bille versuchte, ihre Bestürzung zu verbergen.
„Warum hast du deine Sachen nicht mitgebracht?“ fragte sie. „Du könntest dein Zimmer hier genauso einrichten!“
„Weil ich es nicht wollte. Nichts soll sein wie zu Hause", sagte Bettina hart. „Damit ich mich an nichts mehr erinnere.“
„Aber du erinnerst dich — pausenlos, nicht wahr? Und im Grunde willst du es auch.“ Bille setzte sich auf die Bettkante und legte zaghaft ihre Hand auf Bettinas Arm. „Bitte, komm doch mit runter!“ bat sie. „Ich mag nicht allein gehen, es ist alles so fremd hier. Ganz anders als bei mir zu Hause.“
Bettina zögerte einen Moment, dann erhob sie sich mechanisch und ging zum Waschbecken hinüber. Sie wischte sich mit dem Schwamm die Tränen aus dem Gesicht und kämmte sich die Haare. Bille trat hinter sie und zupfte ein paar Fusseln und Härchen von ihrem schwarzen Rollkragenpullover. Bettina war dünn wie ein Streichholz, und die schwarzen Sachen, die sie trug, unterstrichen ihr elendes Aussehen noch.
Sie macht eine ganz schöne Schau aus ihrem Leid, dachte Bille, bereute den häßlichen Gedanken aber sofort. Bettina gefiel ihr —auch wenn sie noch kaum etwas von ihr wußte.
Schweigend stiegen sie nebeneinander die Treppen hinunter und betraten die Bibliothek. Die um den Teetisch versammelte Gesellschaft bemühte sich angestrengt, die Situation zu überspielen, je nach Temperament mit gespieltem Gleichmut oder übertriebener Fröhlichkeit. Dabei war ihnen anzusehen, wie gierig sie darauf warteten zu erfahren, was sich zwischen den beiden Mädchen abgespielt hatte. Bille konnte sich das Grinsen kaum verkneifen.
Jetzt fand sie den Raum schon viel weniger feierlich und streng. Auf ihrem und Bettinas Teller warteten bereits große Stücke Apfeltorte mit Schlagsahne. Sicher hatte Frau Henrich den Kuchen vor dem Zugriff der Jungen in Sicherheit bringen wollen. Bille stopfte mit Heißhunger große Stücke davon in sich hinein, während Bettina den Teller stumm zurückschob. Die Jungen bekamen Stielaugen vor Verlangen auf die unverhoffte Beute, aber Frau Henrich enttäuschte ihre Hoffnungen.
„Wenn du jetzt keinen Appetit hast, Liebes, stell ich dir den Kuchen später in dein Zimmer, vielleicht magst du ihn heute abend essen.“
Ätsch! dachte Bille. Wer wohl jetzt der glückliche Erbe sein wird, dreimal dürft ihr raten. Denn daß Bettina den Kuchen auch in ihrem Zimmer nicht anrühren würde, war klar.
„Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang“, schlug Frau Henrich vor. „Ihr könntet Bille den Hof und die Ställe zeigen. Sicher hat Bettina auch noch nicht alles gesehen...“
Darauf hatte Bille gehofft. Das einzige, was sie an Peershof wirklich interessierte, waren die Pferde. Wenig später standen sie vor dem Haus, und Bille hatte Gelegenheit, Lohengrin und Zottel vorzuführen. Sie erzählte von Zottels Streichen, machte vor, wie Zottel den Dieb überwältigt und wie er Frau Lohmeiers Kaffeekränzchen überfallen hatte,
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