Billionen Boy
keine Ahnung, wohin er gehen sollte, darum wusste er auch nicht genau, was er brauchte. Er wusste nur, dass er sich keine Minute länger mehr in dieser aberwitzigen Villa aufhalten wollte. Er packte ein paar Lieblingsbücher ein ( Kicker im Kleid und Gestatten, Mr Stink , die er beide saukomisch und gleichzeitig rührend fand).
Dann betrachtete er sein Regal mit den teuren Spielsachen und dem ganzen Elektronik-Klimbim. Seine Augen wanderten zu der kleinen Klorollen-Rakete,die sein Vater ihm gebastelt hatte, als er noch in der Fabrik arbeitete. Joe erinnerte sich daran, dass sie ein Geschenk zu seinem achten Geburtstag gewesen war. Damals waren seine Mum und sein Dad noch zusammen gewesen und Joe hatte das Gefühl, dass dies wohl der letzte Moment war, in dem er wirklich glücklich gewesen war.
Als er gerade die Hand ausstreckte und danach greifen wollte, klopfte es vernehmlich an der Tür.
»Joe, mein Sohn, lass mich rein …«
Joe antwortete nicht. Er wusste nicht, was er mit diesem Mann noch reden sollte. Wer immer sein Vater gewesen war – er war seit vielen Jahren verschollen.
»Joe, bitte«, sagte Mr Spud. Dann herrschte einen Moment Stille.
PADAMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM!
Joes Vater versuchte die Tür mit Gewalt zu öffnen.
»Mach die Tür auf!«
PADAMMMMMMMMMMMMMMMMM
MMMMMMMMMMMMMMMM!
»Du hast immer alles von mir bekommen!« Jetzt brachte er sein gesamtes Gewicht zum Einsatz und die Stuhlbeine bohrten sich tapfer tiefer in den Teppich hinein. Er machte einen letzten Versuch.
PADAMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM
MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM!
Dann hörte Joe ein entschieden leiseres Geräusch. Sein Vater gab auf und lehnte sich gegen die Tür. Ein Quietschen folgte, mit dem sein Körper an der Tür hinabglitt, und ein paar wimmernde Laute. Unter der Tür kam kein Licht mehr hindurch. Dad musste am Boden zusammengesunken sein.
Spud Junior bekam ein unerträglich schlechtes Gewissen. Er wusste, dass er nur die Tür öffnen musste, um den Schmerz seines Vaters zu stillen. Er legte kurz die Hand auf die Klinke. Wenn ich jetzt die Tür aufmache, überlegte er, wird sich nie etwas ändern.
Joe atmete tief durch, ließ die Klinke los, schnappte sich seine Tasche und ging zum Fenster. Er öffnete es leise, damit sein Vater es nicht hörte, und kletterte auf die Fensterbank. Er warf einen letzten Blick in sein Zimmer. Dann sprang er hinaus in die Dunkelheit und in ein neues Kapitel.
22. EIN NEUES KAPITEL
Joe rannte so schnell er konnte – was, ehrlich gesagt, so wahnsinnig schnell nicht war. Aber ihm kam es schnell vor. Er lief die endlose Zufahrt hinab, schlich sich an den Wachen vorbei und sprang über die Mauer. Was sollte diese Mauer eigentlich? Sollte sie andere außen vor halten oder ihn drinnen? Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Aber jetzt hatte er dazu auch keine Zeit. Er musste sehen, dass er wegkam! Möglichst weit!
Joe hatte keine Ahnung, wohin er eigentlich lief. Er wusste nur, wovor er davonrannte. Keinen Moment länger wollte er noch mit seinem dummen Vater in dieser dummen Villa leben. Joe lief die Straße entlang. Sein Atem, der schneller und schneller ging, war alles, was er hören konnte. Er spürte einen schwachen Blutgeschmack im Mund. Jetzt wünschteer, er hätte sich beim Geländelauf in der Schule mehr angestrengt.
Es war schon spät. Nach Mitternacht. Völlig umsonst erleuchteten die Straßenlaternen die leergefegte kleine Stadt. Als er ins Zentrum kam, verlangsamte Joe sein Tempo ein bisschen. Ein einsames Auto tuckerte gemächlich die Straße entlang. Als ihm klar wurde, dass er völlig allein war, überlief Joe eine Gänsehaut. Die Tragweite seiner dramatischen Flucht begann ihm zu dämmern. Er betrachtete sein Spiegelbild im verdunkelten Fenster des Fast-Food-Restaurants: Ein pummeliger Zwölfjähriger, der nicht wusste, wohin er gehen sollte, starrte ihn an. Ein Polizeiwagen rollte herbei, langsam und leise. Ob sie ihn suchten? Joe versteckte sich hinter einem Müllcontainer. Der Geruch von Fett, Ketchup und heißer Pappe versetzte ihm einen solchen Hieb in den Magen, dass er beinahe würgen musste. Joe hielt sich die Hand vor den Mund, damit ihm kein Laut entwich. Die Polizisten durften ihn nicht entdecken!
Schließlich bog der Polizeiwagen um die Ecke und Joe taumelte auf die Straße hinaus. Wie ein Hamster, der aus seinem Käfig ausgebrochen ist, drückte er sich eng an Mauern und Wänden entlang.Ob er sich an Bob wenden konnte? Nein, entschied Joe. Im Überschwang des Gefühls,
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