Bin Ich Schon Erleuchtet
mir das Gehirn mit Pranayama und Samboca verbrutzelt. »Ich lerne Yoga und – ach, Scheiße, ich weiß auch nicht.«
»Du wirst dein wahres Selbst beim Meditieren finden«, setzte Carl wieder an, »wenn du beharrlich bist. Die meisten Leute glauben, Meditation ist ein Bus, der dich ans Ziel bringt. Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist ein Kampf. Jede Minute ein Kampf, aber die lohnendste Sache, die es gibt.«
An diesem Punkt befand ich, dass ich zu alt dafür war, Penner für weise zu halten. »Ich gehe noch ein Stück in den Wald«, sagte ich und stand auf. »Ich will noch mehr sehen. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«
»Cool«, erwiderte er, stand ebenfalls auf, und bevor ich wusste, wie mir geschah, gingen wir gemeinsam tiefer in den Wald hinein.
So bin ich. Konsequent und willensstark.
»Sind wir nicht cool«, jauchzte Carl, neben mir her tänzelnd. »Zwei Yogis auf dem Pfad, einen Pfad entlang wandernd.« Er grinste, rollte mit den Augen, und ich musste ungewollt lachen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich auf dem Pfad bin«, sagte ich, »es könnte sein, dass ich vom Pfad runtergefallen bin.«
»Du willst nur nicht kämpfen«, erklärte Carl, und als ich das Wort kämpfen hörte, hätte ich mich am liebsten gleich hier auf den Waldboden gelegt. Ich holte tief Luft und seufzte.
»Okay«, sagte ich, »erkläre es mir, warum ist Meditieren so ein Kampf?«
»Der Berg.«
»Wie?«
»Du wirst irgendwann den Berg entdecken, auf den du steigen musst. Du siehst nach vorne, da ist dieser gewaltige Berg, du blickst hinter dich, und nachdem du gerade ein bisschen meditative Gelassenheit kennengelernt hattest, ist alles nur noch Verzweiflung. Du siehst zu klar. Wofür entscheidest du dich?«
»Ich entscheide mich für … verdammt, ich weiß es nicht.«
»Hör zu«, sagte er, »willst du frei sein von seelischem Leiden?«
Ich nickte.
Carl fing an zu zittern und rief dröhnend wie ein Prediger in den Wald: »Willst du frei sein … von Leiden?«
Er drehte immer mehr auf und stieß völlig enthemmt die Arme höher und höher in die Luft. Er sah aus wie Atlas, der die Weltkugel von den Schultern schleudern will. Dann verwandelte er sich in die Karikatur eines hysterischen Südstaatenpredigers und ließ eine alkoholgeschwängerte Predigt vom Stapel. »Willst du frei sein von Verwirrung?«, rief er mit geschlossenen Augen. »Von Begierde, von Groll, von Eifersucht?«
Ich trat zurück und beobachtete ihn, und wenn vorübergehende Touristen erschrocken zurückzuckten, machte ich mich möglichst unsichtbar. »Willst du frei sein von Zorn? Willst du frei sein von Politik und den wüsten Beschimpfungen, die wir einander tagtäglich an den Kopf werfen? Willst du frei sein von Angst?« Er öffnete die Augen, aber sein Blick war nicht fokussiert. Er blinzelte ein paarmal und senkte den Kopf, damit er mich besser ins Visier bekam. Offenbar erwartete er eine Antwort. Ich packte ihn am Arm und führte ihn von den glotzenden Touristen weg auf den Pfad. »Im Ernst«, sagte er. »Willst du?«
»Ja.«
Er kicherte und warf über die Schulter einen Blick auf die Leute hinter uns. Dann drehte er sich grinsend zu mir um: »Ich auch.«
Ich bin ein Blitzableiter für Irre.
Wir schlenderten ziellos den Pfad entlang. Carl zog einen Flachmann aus der Gesäßtasche.
»Und was hast du in Indien angestellt, dass du im Gefängnis gelandet bist?«, wollte ich wissen.
»Ich habe einen Zuhälter umgebracht. Mehrere eigentlich, aber ich wurde nur bei dem einen geschnappt.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja. Kinderprostitution. Kinderhändler. Das macht mir nun wirklich keine schlaflosen Nächte.«
Ich nickte. »Tja, nicht schlecht.« Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte. Aber dann vergaß ich Carls Story über seinen Zuhältermord. Immer wenn ich den Kopf nach links drehte, kam es mir so vor, als hätte mein Freund, der Makake, etwas auf meiner Schulter hinterlassen.
»He, Carl«, unterbrach ich meinen Begleiter. »riechst du was an mir?«
Er beugte sich herüber und schnüffelte an meinem Hals. »Lecker«, schnurrte er.
Ich lachte. »Nein, ich glaube, es ist die Schulter.«
Er bewegte seine Nase ein Stück weiter. »Ohhh. Affenarsch.«
»Krass.« Ich wich zurück. »Dagegen muss ich was tun.«
Carl spielte den Wissenschaftler. Er roch noch ein paarmal an mir und rümpfte die Nase. Sein Schnurrbart zuckte. »Streng«, urteilte er. »Es riecht eindeutig sehr streng.«
Ich musste lachen, aber am liebsten hätte ich
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