Bin Ich Schon Erleuchtet
während ich mit einem Guide und einem Trupp Prinzessinnen durch den Wald zum Strand spazierte. Ich muss mich beim Muschelsuchen entfernt haben, denn als ich den Kopf hob, war der Strand leer. Ich hatte meinen Stamm verloren.
Ich hatte kurz vorher bei meiner Tante Greystoke – Die Legende von Tarzan gesehen, und so wusste ich, dass man sich in einen Affen verwandelt, wenn man sich im Wald verirrt. Ich setzte mich auf einen Felsen und schaute aufs Meer und dann hoch zu den bewaldeten Klippen oberhalb des Strandes, und die gelben Früchte in den Bäumen waren keine Kiefernzapfen mehr, sondern Bananenbüschel. Entweder würde ich mich in einen Affenmenschen verwandeln oder ich ertrank, wenn die Flut kam. Ich weiß noch, wie ich die Wellen anstarrte und beschloss, sitzenzubleiben, bis die Flut mich holen kam. Ich versuchte einzuschlafen, weil ich glaubte, ich wäre dann schneller tot. Dann schrie ich eine Weile, in der Hoffnung, jemand würde mich hören und retten, aber niemand kam.
Trotz all der Rosenkränze und Gutenachtgebete und Messen meiner Kindheit kam es mir nicht in den Sinn zu beten. Meine Mit-Yogis reden immer von diesem angeblich natürlichen Impuls, der bewirkt, dass wir meditieren und zu Gott oder einem höheren Wesen beten, und ich verstehe das – ich diskutiere im Kopf andauernd mit Gott –, aber in diesem kritischen Augenblick, in dem ich wirklich noch ein unschuldiges Kind war, habe ich nicht mit Gott geredet.
Was hat das zu bedeuten?
Das weiß nur Gott. Ha.
Gut, ich habe also nicht gebetet. Ich stand auf und kippte den Felsen, auf dem ich gesessen hatte, zur Seite. Einsiedlerkrebse wuselten in alle Richtungen davon, und die meisten waren zu flink für mich, aber einen erwischte ich. Ich nahm die winzige rotbraune Schale mit den Beinchen in die hohle Hand, legte die andere Hand darüber und suchte mir einen andern Felsen. Ich wischte unbeholfen mit dem Vorderarm den Sand von ihm ab, setzte mich und betrachtete die kleinen Zangen, die in die fleischigen Teile meiner Handfläche kniffen. Das war tröstlich. Ich war klein, und der Ozean vor mir war riesig und gleichgültig.
Vielleicht ist es das. Vielleicht kannte ich als Kind die Wahrheit: Der Himmel ist leer, und der Ozean beweist die Existenz von gar nichts außer dem Ozean. Vielleicht ist das Reich der Natur alles, was wir haben. Möglicherweise war mir irgendwie klar, dass meine Religion nur ein Teil meiner Kultur war, etwas, durch das meine Familie dem Geheimnis Ausdruck verlieh, das uns verband und durch das wir an der absurden Zufälligkeit anderer Existenzen teilnahmen.
Vielleicht wusste ich, dass das gemeinsame Gebet unsere Art war, uns gegenseitig zu betrachten und einander zu fragen: Fühlst du diese Fremdheit auch? Diese Verwirrung? Zweifelst du auch?
Genug. Schluss mit dem Hirnen. Ich werde mich jetzt meinen entfernten Verwandten zuwenden.
Später
Die Affen im Affenwald sind so zahm wie Haustiere – sogar zahmer als die streunenden Hunde in den Straßen von Ubud. Klar, sie sind total gaga, aber auf eine sympathische Weise. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich eine gewisse verwandtschaftliche Nähe empfinde, wenn sie da wie die Irren durch die Gegend rasen, sich lausen oder einen Kumpel anschreien oder einfach nur völlig abgespaced im Papayakoma abhängen.
Der Wald als solcher ist beeindruckend. Der gepflasterte Weg, der zum Mittelpunkt führt, ist breit und an beiden Seiten von einem hüfthohen Steinmäuerchen eingefasst, das von samtigem grünen Moos bewachsen ist.
Ich saß lange auf dem Mäuerchen und beobachtete die Touristen, die die Makakenmütter mit ihrem Puppenbabynachwuchs angurrten. Sie hockten auf dem Boden und mümmelten geradezu elegant an ihren Bananen und Papayas. Die Schalen warfen sie nicht weg, sondern entledigten sich ihrer wie ein Geck in einem Theaterstück von Molière. Es sah aus, als ließen sie beiläufig ein parfümiertes Schnupftuch auf eine Chaiselongue fallen, in dem Bewusstsein, dass ein eilfertiger Bediensteter es sogleich aufheben würde. Und da kam er dann auch, ihr Bediensteter – ein kleiner Mann in einem gelben Sarong und einem schwarzen T-Shirt, der die Affen mit Papayas aus einem Korb fütterte.
Ein Stück entfernt saßen zwei Makakenmütter mit ihren Babys auf dem Schoß einander gegenüber auf dem Boden, als würden sie über die Belastungen der modernen Mutterschaft und die Notwendigkeit einer ausgeglichenen Work-Life-Balance diskutieren. Ich rutschte näher und hockte mich
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