Bin Ich Schon Erleuchtet
ein Gefühl von Ermattung.
Ich hielt die Stunde in einer alten Scheune neben einem Fluss ab. Die halbe Hochzeitsgesellschaft nahm daran teil. Ich kam zeitig, um Dehnübungen zu machen und mir zu überlegen, wie ich vorgehen wollte. Mein Körper war steif. Ich war seit Monaten in keiner Yoga-Klasse mehr gewesen, seitdem ich für mich entschieden hatte, dass dieses ganze Yoga ein einziger Schwindel war. Sollte ich Yoga-Aerobic unterrichten, den neuesten New Yorker Hype? Oder etwas Friedlicheres und Spirituelleres, wie die Stunde, die Jessica auf Bali gegeben hatte?
Am Ende unterrichtete ich im Stil von Indra und Lou. Ich war nervös, aber nach ein paar Minuten kam es mir fast so vor, als würden sie den Unterricht für mich gestalten. Während ich mit Indras Stimme im Ohr meinen Freunden die Positionen erklärte, erinnerte ich mich an etwas, das man in der Welt von Celebrity-Yoga und Heiligem Räucherzeug leicht vergisst. Im besten Falle bringt es etwas von mir zutage, das verletzlich und authentisch ist, in dem ich mich am meisten erkenne. Ob das meine Seele oder mein Nervenkostüm ist, weiß ich nicht. Aber die Leute in meiner Klasse profitierten eindeutig davon. Schon allein das Zusammensein in einem Raum, in dem alle an einem Ritual zur Herzöffnung arbeiten – im physischen wie metaphysischen Sinn –, wirkte irgendwie tröstlich. Und das Wort »Trost« begleitete mich den ganzen Herbst über, während ich mich darauf vorbereitete, einem geliebten Menschen Schmerz zuzufügen. Dass das Wort so fürchterlich nach Selbsthilfegruppe klang, war mir nicht mehr peinlich. Es war zutreffend, und allein darauf kam es an. Es war die Schmerzen wert, wenn ich am Ende für ein Leben frei wäre, das mich tröstete und aufbaute.
Ich wollte keine Zeit mehr verlieren.
2. Mai
Heute ist ein guter Tag für Affen. In zwei Tagen haben wir Prüfung, das könnte meine letzte Chance sein.
Ich wollte eigentlich den Tag mit meinen Mit-Yogis verbringen, aber ich muss jetzt allein sein. Wir haben heute früh gemeinsam im Casa Luna gefrühstückt, und ich habe gewitzelt, wir könnten uns ja einen Brownie zum Frühstück bestellen. Okay, vielleicht war das nicht nur ein Witz. Aber ich habe dann doch keinen bestellt, und das lag an Bärbel. Ich sagte zu ihr, ich bräuchte den Killer-Brownie, weil Schokolade zu meinem Sexersatz geworden ist. Sie antwortete: »Nein, Suzanne. Du bestellst den Killer-Brownie, weil du keine Selbstdisziplin hast.«
Alle lachten, ich auch, aber es geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Wie blamabel! Da hatte ich von Transformation geträumt und mir geschmeichelt, ich sei ein neuer Mensch geworden, biegsamer und erleuchteter, dabei habe ich mich nicht die Bohne verändert. Ich sitze auf einer Bank am Eingang des Affenwalds und bin immer noch ich, dieselbe Chaotin wie immer, nur mit etwas mehr Muskelmasse im Oberkörper und einem aufgeblasenen Ego. Auf dem Weg vom Casa Luna hierher war Ubud kein funkelnder Ort voller exotischer Typen und merkwürdiger Geräusche mehr. Weder Zuflucht noch Urlaubstraum, sondern einfach der Ort, an dem ich gerade bin. Unter Menschen, auf den Straßen, in meinem Körper; immer noch das alte Ich, das mich beobachtet.
Drinnen kreischen die Affen.
Als ich sieben war, waren mein Vater und ich Mitglieder einer YMCA-Abteilung, die sich »Indianerprinzessinnen« nannte. Jeden Monat trafen wir uns mit anderen Vätern (»Guides«) und ihren Töchtern (»Prinzessinnen«) und trugen Stirnbänder mit gelb, rot und blau gefärbten Federn. Dazu Lederwesten mit Perlenfransen. Die großen Holzperlen hatten alle eine Bedeutung; jede war eine Art Fleißperle für eine besondere indianische Leistung wie Bogenschießen oder Lachsräuchern. Als Indianerprinzessinnen lernten wir, Pocahontas zu imitieren, die mit allen Farben des Windes malte und kein Hasenfuß war wie die amerikanischen Vorstadtmädchen. Wir hatten schicke, naturverbundene Namen, über die man beim Aussprechen stolperte. Ich war Schneestern. Mein Vater war Donnerfrosch.
Es war genial: Ich hatte meinen Vater ganz für mich allein und durfte mich als Indianerin verkleiden. Einmal im Jahr gingen wir ins Zeltlager, und dort konnte man Rudern lernen und Muscheln ausbuddeln und sich wie ein Indianer benehmen.
Auf einem dieser Zeltlager ging ich verloren. Wir waren auf Orcas Island, nur wenige Stunden von Seattle entfernt, aber mit sieben lag Orcas Island für mich so weit von zu Hause weg wie Bali. Mein Dad war in der Hütte geblieben,
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