Bin Ich Schon Erleuchtet
dass du dieses Lied singst?«
Lara war stinksauer. Ihrer Meinung nach war Indra sowieso nie erleuchtet gewesen, und im Nachhinein fielen ihr massenweise Indizien ein, die man hätte deuten können. Jason und Lara überlegten gemeinsam, welche von Indras Äußerungen in den vergangenen zwei Monaten Aufschluss gegeben hatten. Alle waren sich einig, dass damit der Beweis vorlag, auf den wir unbewusst gewartet hatten: Indra war keine Göttin, kein Avatar, keine Prophetin. Sie war kein Deut besser als wir anderen, abgesehen von ihrem außerordentlich biegsamen Rückgrat.
»Aber sie hat uns in dem Glauben gelassen«, sagte Lara ernst. »Wir sollten sie für besser, erleuchteter, reifer halten. Und wenn du dich über andere erhebst, obwohl du nicht erleuchtet, nicht wirklich überlegen bist, dann … ich finde, dann bist du kein besserer, sondern ein schlechterer Mensch.«
»Ein Hochstapler«, ergänzte ich.
»Ein falscher Prophet«, sagte Jason.
Vielleicht war das unfair. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall brach Jessica bei unseren Worten in Tränen aus. »Hört mal«, widersprach sie schniefend, »darum geht es nicht. Indra ist perfekt, so wie sie ist.«
»Perfekt?«, wiederholte ich ungläubig. Erst jetzt, beim Aufschreiben, merke ich, wie verbittert ich geklungen haben muss. »Perfekt? Soll das ein Witz sein?« Ich wollte das nicht hören. Ich war zu wütend. Und diese Wut fühlte sich einfach toll an. Rechtschaffen und erfrischend, als würde doppelt so viel Blut wie sonst durch meine Adern pulsieren. Wie befreiend, Indra von ihrem Podest zu stoßen und auf sie einzutreten! Ein Tritt nach dem anderen! Und ihr auf den Kopf trampeln!
Mein Gott. Diese Frau hatte mir einreden wollen, ich müsse alles verändern. Mein Leben von der Klippe werfen und nach etwas suchen, das ihrer Beziehung zu Lou ähnelt. Ich müsse nur wie sie die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, dann würde auch ich das authentische Leben entdecken, das sie angeblich führte.
Aber wie viele Leben hat man, die man von der Klippe werfen kann, um dieses authentische Leben zu ergattern? Wie viele Jonahs bleiben auf der Strecke? Dummerweise kann ich mich nicht mehr an Indras genaue Wortwahl erinnern. Hat sie mich in Bezug auf ihren ersten Mann angelogen, hat sie so getan, als wäre sie nur mit ihm verheiratet gewesen? Oder habe ich andere Äußerungen im Kopf zensiert, weil mir diese eine Geschichte so gut gefallen hat? Ich habe nur meine eigenen Tagebucheinträge. Ihre nicht.
Trotzdem. Sie hat immer getönt, Lou wäre DER EINE – nicht DER SECHSTE. Großer Gott, wie konnte ich nur auf diese Frau reinfallen? Wie konnte ich meinen kritischen Verstand ausschalten? Ich weiß, dass man den Zweifel ablegen muss, um Vertrauen zu entwickeln, aber meine Skepsis bewahrt mich wenigstens vor diesen selbsternannten spirituellen Scharlatanen, die über die Erde ziehen und Jung und Alt verführen, gerade dann, wenn die Menschen sich am verlorensten fühlen und auf der Suche sind.
Vielleicht ist das Indras letzte Lektion für mich. Laut Jessica ist Indra perfekt, so wie sie ist. Dabei bleibt sie, auch wenn Jason, Lara und ich das nicht hören wollen. Indra, sagte sie, sei uns geschickt worden, um uns zu desillusionieren und uns daran zu erinnern, dass wir auf unser eigenes Herz und unsere Seele hören sollen, dass wir unseren eigenen Weg zu Gott und zur Liebe finden müssen. Indra wandere auf ihrem eigenen steinigen Pfad, sagte sie, und wir sollten ihr dankbar sein.
»Dankbar?«, schnaubte Jason. »Was für ein Bockmist, Jessica. Tut mir leid, Babe, aber damit kommst du bei mir nicht an.«
»Denkt doch an das Gebet, das wir am Ende der Klasse immer sprechen«, sagte Jessica eindringlich. »Wir sagen Om Bolo Sadguru Maharaj Ji Ki . Wir verbeugen uns vor dem Guru in unserem Herzen und unserer Seele. Das ist das Entscheidende, Leute.« Sie blickte uns aus tränenfeuchten Augen an, offensichtlich verzweifelt darum bemüht, uns ihre Sichtweise begreiflich zu machen. Ihre Stimme brach. »Darum geht es, nur darum.«
Ich weiß nicht. Klingt für mich ziemlich blauäugig. Für mich sieht die Sache so aus: Ich werde als dieselbe Person nach Hause fliegen, die ich bisher war. Vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Vielleicht war ich immer ganz in Ordnung, mal abgesehen von diesem Bedürfnis, mich zu transformieren und jemanden zu verehren. Wer weiß? Vielleicht ist die Desillusionierung der Weg zum Selbst.
6. Mai
Alle sind unten und beladen Ketuts Auto, mit dem wir
Weitere Kostenlose Bücher