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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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Penestanan verlassen werden. In wenigen Minuten ist es so weit. Aber ich will vorher noch ein paar Zeilen schreiben.
    Die gestrige Feier fand natürlich im Wantilan statt, und wir hatten zu diesem Anlass festliche Sarongs mit Schärpen angezogen. Indra und Lou sahen in ihren weißgoldenen Sarongs sehr schön aus. Lou trug über seinem ein weißes Leinenhemd, Indra den traditionellen balinesischen Stoffgürtel und eine durchbrochene Bluse. Sie hatte ihre Zöpfchen entflochten, und die blonden Haare fielen ihr wieder offen über den Rücken.
    Noadhi zündete auf dem von Opfergaben überquellenden Altar eine Kerze an. Und dann nahm er, wie bei seinem Mixer-Ritual, eine Schüssel Wasser in die eine und eine Lotosblüte in die andere Hand und bespritzte uns. Er drückte allen Reiskörner auf Stirn, Schläfen und Kehle. Ich musste das Lachen unterdrücken, als Bärbel sich angestrengt blinzelnd zu mir umdrehte, weil Reiskörner an ihren Wimpern klebten.
    Ich hätte gerne das Frauenorchester gehört, aber bei der Zeremonie spielten Männer aus dem Dorf auf den Gamelan-Instrumenten. Die Musik setzte mit einer heiseren Holzflöte ein, dann schlugen sechs Holzstäbe einen weiten, dunklen Akkord an. Einer nach dem anderen standen wir auf, traten an den Altar und erhielten von den Lehrern unser Diplom. Als wir alle wieder saßen und mit feuchten Fingern unsere Zeugnisse umklammerten, drehten sich Indra und Lou zum Altar um und forderten durch Gesten Bärbel, SuZen und Jason auf, sich hinter sie zu stellen. Die drei bildeten einen schützenden Halbkreis um unsere Lehrer und sahen zu, wie Noadhi ihnen Reis auf Stirn und Kehle drückte und mit tiefer, gedämpfter Stimme seine Gebete sprach.
    Es überraschte mich, wie ehrerbietig Indra und Lou den Anweisungen des Balinesen folgten. Noadhi ist fast dreißig Zentimeter kleiner als sie, aber seine Haltung lässt ihn größer wirken. Mächtig. Er segnete sie und band ihre Handgelenke mit einer weißen, mit Gold bestickten Schärpe zusammen. Dann sang er etwas, und sie antworteten. Mit ihren geneigten Köpfen und gefalteten Händen wirkten Indra und Lou fast wie Bittsteller.
    Ich wusste viel mehr über Indra, als mir lieb war, und zwang mich, ihre Hochzeit mit dem Kopf und nicht dem Herzen zu verfolgen. Aber das Ritual setzte alles außer Kraft, was mein Verstand mir zuraunte. Beim sechsten Mann wird alles anders , flüsterte er boshaft. Ich sei von einem scheinheiligen Idol getäuscht worden, jammerte er. Aber als sie mit geneigten Häuptern und gebundenen Handgelenken vor mir standen, kamen mir doch die Tränen. Wir weinten alle. Wir weinten, als würden wir zwei Lehrern, die wir liebten und die einander liebten, Lebewohl sagen. Als ob das alles uns wirklich etwas bedeutet hätte.
    Bye-bye Bali. Ich fahre nach Hause.

Epilog: Die Heilerin
    Könnte es ein größeres Wunder geben, als wenn es uns ermöglicht wäre, einen Augenblick mit den Augen der anderen zu sehen?
    Henry David Thoreau, Walden
    Lou hat einmal gesagt, dass man von seinen Verletzungen ungeheuer viel lernen kann. Eine Verletzung kann dich Mitgefühl mit deinem eigenen Geist und Körper lehren, und wenn du das Leiden gut nutzt, kannst du dadurch Mitgefühl mit anderen Menschen entwickeln. Heute, acht Jahre nach der Rückkehr aus Bali, weiß ich, dass er recht hat.
    Kürzlich habe ich mit einer Freundin bei einem Drink überlegt, was es so schrecklich schwer macht, sich von einem Menschen zu trennen, den man liebt, mit dem man aber nicht leben kann. Wir meinten damit nicht Trennungen, wenn die Liebe gestorben ist oder gar nie vorhanden war, oder wenn ein Partner den anderen so gekränkt hat, dass es keine gemeinsame Zukunft geben kann. Wir sprachen über die traurigste Art der Trennung zwischen Menschen, die einfach nicht zueinander passen, auch wenn sie sich noch so sehr lieben.
    Aus unserer Sicht besteht das Problem darin, dass sich die Beziehung im Moment der Trennung auf das Essentielle reduziert, in das man sich verliebt hat. Weg sind Ärger, Druck und Ängste. Man ist nicht mehr fixiert auf die Täuschungen oder Niederlagen oder das fehlende Verständnis. Man hat sich getrennt – es gibt nichts mehr, gegen das man anrennen könnte. Was bleibt, ist die Erinnerung an diese erste, reine Liebe, die man für den anderen empfand, und das, fanden wir, ist echt scheiße. Es tut weh. Wenn nur noch diese erste Liebe übrig ist, ist der Verlust umso gewaltiger – man verliert nicht die Person, die einen in einem späteren

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