Bin Ich Schon Erleuchtet
Stadium der Beziehung – aus der eigenen Sicht – eingesperrt oder hintergangen oder erniedrigt hat. Man verliert die Person, in die man sich mal verliebt hat, von der man beim Einschlafen geträumt hat und nach der man sich am Morgen gesehnt hat, die Person, die sich wie die Heimat angefühlt hat, die man schon immer gesucht hat.
Man versucht zu begreifen, wie es dazu kommen konnte, aber man begreift es nicht. Für jeden Augenblick, der bei Jonah und mir auf das Scheitern hingeführt hat, könnte ich einen anderen nennen, der darauf hindeutete, dass wir Seelenverwandte waren, ein Paar für die Ewigkeit, bis dass der Tod uns scheide. Verstehen zu wollen, wie aus einer so reinen, zarten Liebe etwas so Trübes und Konfuses werden konnte, ist müßig; da könnte man auch gleich die Dreifaltigkeit verstehen wollen oder warum so viele Leute The Secret – Das Geheimnis gekauft haben.
Es brauchte viel Zeit und viele Tagebuchseiten voller Grübeleien, bis ich die Bedeutung des Wortes müßig verstand und wieder nach vorne schauen konnte.
Und das Komische ist – ich weiß nicht mal, über wen ich hier rede. Jonah? Oder Indra?
Vielleicht beide.
Ich blieb nicht lange in New York. Nicht einmal drei Jahre. Es reichte für eine Phase, in der mit Jonah alles wunderbar lief, bis es dann auseinanderbrach, weil ich endlich zugab, dass ich ihn nicht heiraten und auch nicht in New York bleiben wollte. Überhaupt wollte ich kein Leben führen, das ich mir so nie ausgesucht hätte. Wir trennten uns als Freunde, liebevoll und traurig, und wünschten einander viel Glück.
Ich flog nach Seattle zurück und wohnte eine Weile bei meiner Tante. Ich verbrachte meine Tage damit, Bücher über gescheiterte Liebesgeschichten zu lesen, die mir den Gedanken an Suizid nahezulegen schienen ( Anna Karenina, Madame Bovary, Das Erwachen ), und nachts tat ich Buße. All die ungesagten Vaterunser und Ehre sei Gott entströmten meiner Feder, während ich zu verstehen versuchte, was schiefgelaufen war, was ich falsch gemacht hatte, wie ich alles wieder ins Lot bringen konnte. Unzählige Male spielte ich in Gedanken den Abschiedsmorgen durch, an dem Jonah und ich uns Auf Wiedersehen, viel Glück, ich liebe dich gesagt hatten. Danach war er seltsam steifbeinig aus der Tür gegangen.
Ich beschimpfte mich, weil ich in meinem Narzissmus glaubte, Jonahs Glück hinge allein von mir ab. Er würde darüber hinwegkommen, ich würde darüber hinwegkommen, wir durften beide unser Glück auf getrennten Wegen suchen. Das hatten wir uns versprochen.
Aber eines Tages saß ich rauchend auf der Terrasse meiner Tante und blickte durch den frischen, kühlen Regen auf die heimatlich grünen Bäume. Ich musste daran denken, dass ich auf Bali den Wunsch gehabt hatte, mein Leben von der Klippe zu schleudern und zuzusehen, wie es in eine Million Teile zerbrach. Nun hatte ich genau das getan, aber was für ein Mensch würde sich so etwas ernsthaft wünschen? Hatte ich wirklich geglaubt, dass ich ohne Bedauern davonkommen würde? Ich dachte an meine Wahlfamilie in New York und an meine Eltern und Geschwister, die auf Zehenspitzen um mich herumschlichen und Jonah möglichst nicht erwähnten. Ich war einfach erbärmlich. Ich war total verkorkst. Ich rauchte, als wollte ich mich dafür bestrafen, dass ich noch am Leben war, und trank Kaffeemengen, die einen Ochsen um den Schlaf gebracht hätten. Dann blieb ich die ganze Nacht wach und schrieb ins Tagebuch Sätze wie:
Ich bin ein Arschloch.
Ich bin ein Arschloch.
Ich bin Miss Mega-Arschloch.
Nicht ganz so blumig wie ein Ave-Maria , aber aus meiner Sicht hundertprozentig wahr.
Nachdem ich noch ein Buch gelesen hatte, in dem durch den Selbstmord einer Frau die Ordnung wiederhergestellt wurde, legte meine Schwester Widerspruch ein. »Lies was anderes«, forderte sie mich auf. »Frauen müssen sich nicht mehr wegen Männern umbringen.«
Daraufhin nahm ich überhaupt kein Buch mehr in die Hand, damit ich mich besser auf meine Buße konzentrieren konnte. Wochenlang las ich keine Zeile und drehte mich gedanklich im Kreis. Doch dann sprach eines neblig grauen Nachmittags, an dem ich hinter dem Haus meiner Tante saß und auf die Berge starrte, die junge Stimme aus den Erinnerungen des heiligen Augustinus zu mir – die Stimme, die für ihn alles verändert, die ihn zu Christus geführt hatte. Nimm und lies , sagte sie.
Und ich las. Das Buch, das der Matrose mir geschenkt hatte. Drei Jahre war es her, seit es im Koffer
Weitere Kostenlose Bücher