Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
Vom Netzwerk:
sollten wir den Stab immer wieder vom Körper wegschleudern, als hätte sich auf ihm, wie Haut auf gekochter Milch, eine Schleimschicht aus bösen Geistern gebildet.
    Es dauerte Stunden. Wir rieben und rieben, und Ysabel und Yolanda sprachen Gebete über uns, gingen zwischen uns hindurch und tauften uns mit Duftwasser, Weihwasser und Weingeist, den sie mit dem Mund verspritzten. Die Sache kam mir vor wie ein massives spirituelles Peeling: Ich schabte dicke Schichten von Reue, Bedauern und Kummer von meinem Körper, damit ich ein neuer Mensch werden und glücklich, frei und ohne Vergangenheit in mein neues Leben mit Kurt eintreten konnte. Es lag sicher am San-Pedro, aber ich konnte tatsächlich auf der Haut ein paar dieser schlimmen Erinnerungen und Schuldgefühle sehen, in Gestalt boshafter kleiner Feen, die mit meinem mächtigen, heilkräftigen Zauberstab zerquetscht werden mussten. Da lagen sie zerschmettert zu meinen Füßen. Der Haufen wurde immer größer.
    Alle paar Minuten schabten Ysabel oder Yolanda mit Stäben aus Metall oder Holz an meiner Silhouette und spuckten mich an. Ich rubbelte meine Aura weg, rubbelte meine Haut weg, rubbelte meine Vergangenheit weg, und je leichter ich mich fühlte, desto intensiver spürte ich: Es klappt! Es klappt! Ich befreite mich von Jonah, von New York, von meinen enttäuschten Freunden und der besorgten Familie. Ich vergab mir und Jonah und sogar Gott, und fügte nicht – wie sonst immer – die Worte »wenn du überhaupt existierst« hinzu.
    Neben mir stand Kurt, der große, kräftige, bärtige Matrose, der zuließ, dass zwei Frauen mit Rosenkränzen in den Fingern und Kaktussaft an den Zähnen ihn anspuckten. Dieser Mann hätte ein solches Ritual als kompletten Humbug abtun können, aber weil er mich liebte, war er hier. Ich spürte, dass er sich die Haut mit derselben Ernsthaftigkeit abrieb wie ich, und ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich durch sein Dasein die Gläubigen besser verstand – warum sie eine Heimat in ihrem Glauben fanden, eine Heimat jenseits allen Zweifels, einen nie gekannten Trost. Ich hatte nicht den Glauben an Gott gefunden, noch nicht, aber ich hatte die Liebe gefunden, und das war auch eine Art Glaube. Ich spürte Kurt neben mir und erlaubte mir endlich, mich meinem Herzen auszuliefern und ihm mein Herz als Zufluchtsort für seines zu geben. Dieses alberne, peinliche, irrationale Organ hatte mich hierher geführt, an einen Ort, an den mein Verstand mich nie hätte bringen können.
    Danach gingen wir ein Bier trinken. Ich hatte mich seit meinem Kundalini-Durchbruch nicht mehr so frei und gleichzeitig so eins mit der Welt gefühlt. Ich sagte immer wieder zu Kurt: »Echt, Schatz, wir müssen mehr Drogen nehmen.«

    Am nächsten Morgen war ich wieder ganz die Alte. Nicht in Ekstase, nicht mehr so befreit wie in den Stunden davor. Ich war immer noch durchglüht von dem wunderbaren Erlebnis, aber im Wesentlichen war ich wieder ich selbst, ein bisschen hungrig, ein bisschen verkatert, glücklich, den Mann zu sehen, der neben mir lag. Und meine Gedanken wanderten zu Indra. Zum ersten Mal konnte ich mir vorstellen, wie ihr Leben ausgesehen haben mochte. Nicht das großartige Leben, das ich mir für sie ausgedacht hatte, sondern das echte. Einmal hatte sie sinngemäß gesagt: »Du glaubst, meine Brust ist bei den Rückbeugen offen? Warte, bis dein Herz so oft gebrochen wurde wie meins, dann wirst du feststellen, dass da noch viel mehr Platz ist!« Damals auf Bali hatte ich darüber gelacht, weil es so lustig klang, aber die Wahrheit hinter ihren Worten war nicht in mein Bewusstsein eingedrungen. Wie konnte sie auch? Ich hatte nicht wirklich über Indra nachgedacht. Auf Bali hatte ich mir eingeredet, es ginge mir um Indra, obwohl ich im Grunde um mich selbst kreiste. Jetzt stellte ich mir vor, wie Indra ihren ersten Mann verließ und quer durchs Land fuhr, um Gott und die Transformation zu finden, und mir kamen die Tränen. Ich verstand. Indra hatte gelitten.
    Ich dachte daran, wie oft sie enttäuscht worden war, wie oft sie neu angefangen hatte, und ich begriff, wie außergewöhnlich es war, dass sie immer noch hoffte und glaubte. Plötzlich erschien mir das beeindruckender und inspirierender als alles, was sie mir beigebracht hatte.

    Nicht lange nach unserer Rückkehr nach Seattle ging ich ein letztes Mal in das Studio von Indra und Lou. Ich trug mich ein, ich stellte einen Scheck aus. Das Studio sah noch genauso aus wie vor Jahren – hell,

Weitere Kostenlose Bücher