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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Morrison
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ich das hin, schon beschleicht mich das gruselige Gefühl, dass er mir über die Schulter linst. Ich stelle mir vor, wie er auf Bali in irgendeinem uterusförmigen Meditationsraum sitzt, mit seinem nackten, gebräunten Oberkörper und seinen Leinenhosen mit elastischem Bund. Er atmet tief ein und aus, hält innerlich Zwiesprache mit Babaji, und dann machte er auf einmal die Augen auf und weiß Bescheid. Nicht etwa mit dem Verstand, sondern mit seinem Mentalkörper .
    Als ich im letzten Herbst mit Indrou-Yoga anfing, fiel mir ziemlich bald ein Trupp leicht muffelnder, ungemein fokussierter Yoga-Schüler auf, die hinter Lou herdackelten, als wäre er Jesus in Spandex-Shorts. Man merkte ihnen keine Angst an, nur Ehrerbietung und grenzenlose Verehrung.
    In Lous Gegenwart fühle ich mich winzig klein und schwach. Vielleicht weil er seine Schüler »Leute« nennt, als seien wir alle mit viel mehr menschlichen Schwächen behaftet als er. Vielleicht liegt es auch daran, dass er mich an einen Priester erinnert. Na ja, einen Priester, der nach Curry riecht, gelbe Kurkumaflecken auf den Fingernägeln hat und Nelken kaut statt Pfefferminzbonbons. Lou ist die Sorte Yogi, die Zungenschaber benutzt. Ich finde Zungenschaber widerlich.
    Dabei ist Lou kein Inder. Soviel ich weiß, ist er in Connecticut geboren und dort aufgewachsen. Die Legende besagt, dass Lou in den späten Sechzigern zum Aussteiger wurde, sich die Haare wachsen ließ und sich in ostindische Gewänder hüllte, die wie lange Leinennachthemden aussahen. Er wetteiferte mit Timothy Leary um den maximalen Konsum halluzinogener Drogen, und als er mit den Drogen durch war, konsumierte er vier Jahre lang nur noch Fruchtsäfte.
    Als ich zum ersten Mal in einem seiner Kurse saß, fixierte er mich und sagte: »Leute, wenn ihr hier seid, um Yoga so zu lernen, wie ihr in den Achtzigern Aerobics gelernt habt, dann geht bitte wieder. Yoga ist kein Fitnesstraining. Yoga ist eine spirituelle Übung. Wenn ich sehe, dass ihr übt, ist euch meine Aufmerksamkeit gewiss.«
    Seit jenem Tag hielt ich mich von seinen Kursen fern. Aber jetzt werde ich jeden Tag vor ihm sitzen. Verdammte Hacke.

18. Februar
    Als ich vor ungefähr einem Jahr zum letzten Mal in New York war, saß ich mit meinem Glimmstängel downtown in einem Starbucks und hörte, wie sich zwei Frauen vor dem Yoga-Studio nebenan unterhielten. Sie tratschten, keine Frage, aber sie taten das in diesem unverkennbaren Yoga-Ton. Man sollte ihr Geraune als Besorgnis interpretieren und nicht etwa als Wut. Genüsslich zogen sie über eine andere Frau aus ihrem Yoga-Lehrer-Kurs her. Ihren Lippen entströmte ein melodisches Säuseln, ihre Vokale waren so rund wie die Brüste einer Hindugöttin. Offensichtlich hatte diese andere Kursteilnehmerin etwas Schreckliches getan, denn das Gespräch verlief so:
    »Feather checkt es einfach nicht.«
    »Mhmm-hmm. Sie checkt es nicht. Arme Feather.«
    »Sie checkt nicht mal, wie unyogisch sie ist.«
    »Also echt, sie tut mir leid, ehrlich. Sie checkt es so gar nicht.«
    »Ich weiß, und ich kann’s nicht fassen, dass sie glaubt, sie checkt es. Hmmmm. Sie checkt es so kein Stück.«
    »Einfach kein Stück.«
    »Äh, weißt du, vielleicht ist sie eine junge Seele? Oder? Aber mich belastet das echt, dass sie glaubt, sie checkt es.«
    »Genau. Und jetzt sind wir gestresst, und sie verunreinigt das ganze Energieumfeld. Wie Guruji gesagt hat. Sie hat irgendwie kein Samtosha .«
    »Ich war voll in der Glückseligkeit, bevor sie dazugekommen ist.«
    »Ja, ich weiß, voll in der Glückseligkeit.«
    »Genau.«
    Und so weiter.
    Zuerst lachte ich mich schief über die beiden. Ich fuhr nach Seattle zurück, und Jill und ich rissen noch Monate später Witze. Als ich ihr erzählte, dass ich zum Yoga-Lehrgang nach Indonesien fliegen wollte, drohte sie, sie würde mich, falls ich als Yoga-Bitch aus Bali zurückkäme, auf der Stelle festschnallen und mit Steaks, Bier und Zigaretten zwangsernähren, bis ich wieder normal wäre. »Ich stehe voll hinter dir«, sagte sie. Ich liebe meine Schwester.
    Aber seit ich mein Flugticket habe, muss ich ständig an die beiden Frauen aus New York denken. Ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst habe – dass ich so werde wie sie oder dass ich an einen Ort fliege, an dem ich von Leuten wie ihnen umgeben sein werde. Was ich Yoga-Retreat nenne, ist eigentlich ein Kurs für angehende Yoga-Lehrer. Aber mich interessiert der Retreat-Faktor mehr.

19. Februar
    Als ich den Plan fasste, auf

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