Rabenvieh (German Edition)
Prolog
Ich warte noch immer. Seit Stunden werde ich von einem Raum zum nächsten geschickt, lasse unangenehme Untersuchungen über mich ergehen. Ich befinde mich exakt an jenem Ort, den meine Pflegemutter vor Jahren mit mir aufsuchen sollte. Sie »vergaß« es leider. In diesem Raum, in dem ich sitze, fühle ich mich unwohl. Ein beklemmendes Gefühl für mich. Angst kommt auf. Ich weiß nicht, was auf mich zukommt und ich versuche mich irgendwie abzulenken. Eine Illustrierte liegt hier auf einem der Tische. Ich nehme sie, lese irgendeinen Artikel, nur um mich irgendwie abzulenken. Menschen in weißen Kitteln huschen an mir vorbei und verschwinden in dem Raum, aus dem ich zuletzt rauskam. Endlich! Ich werde aufgerufen. Das Warten hat nach vielen Stunden ein Ende. Ich betrete das Zimmer und darf Platz nehmen. Fragend blicke ich in drei Gesichter, warte auf eine Ansage und hoffe, dass ich danach nach Hause gehen kann. Behutsam bringt man mir bei, dass ich hier bleiben muss. Dass ich mir Kleidung und Toilettenartikel bringen lassen soll und dass ich heute nichts mehr essen darf. Ich frage nach dem Warum und bekomme eine niederschmetternde Diagnose. Meine Nieren sind stark geschädigt. Um noch Schlimmeres zu verhindern, ist es notwendig, mich so schnell wie möglich zu operieren. Heute Abend, spätestens morgen früh werde ich in den Operationssaal gebracht. Ich frage nach der Ursache und bekomme als Antwort, dass es sich um eine Art »Defekt« handelt. Anhand des nun weit fortgeschrittenen Stadiums wohl seit meiner frühen Kindheit. Sie überhäufen mich regelrecht mit Fragen, und sie stellen mir auch die Frage, ob ich in meiner Kindheit nie Beschwerden hatte. Binnen Sekunden falle ich in ein tiefes, schwarzes Loch. Ich drifte mit meinen Gedanken ab. Zurück in mein früheres Leben. Zurück an den Ort des Grauens. Zurück in die Welt des Rabenviehs.
Ich höre ganz weit weg eine Stimme. Sie fragt mich, wie es mir geht. Ich möchte antworten, aber ich bekomme keinen Ton aus mir heraus. Stattdessen nicke ich nur leicht mit dem Kopf. Meine Augenlider sind so schwer, ich habe alle Mühe sie zu öffnen. Mehrmals versuche ich es, bis ich keine Kraft mehr habe und ich wieder in den Schlaf falle.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Waren es fünf Minuten, fünf Stunden, fünf Tage? Erneut höre ich eine Stimme, die mich fragt, wie es mir geht. Sie fragt mich, ob ich Schmerzen habe. Wieder nicke ich nur mit dem Kopf. Die Geräusche um mich herum nehme ich nun schon etwas besser wahr. Ich höre ein Piepsen von Monitoren. Kurzzeitig kann ich meine Augen öffnen. Ich blinzle ein paar Mal, denn das grelle Licht des Raumes schmerzt mir in den Augen. Noch ist mir nicht klar, wo ich mich hier befinde. Oberhalb meines Bettes hängen einige Flaschen, deren Flüssigkeiten langsam in meine Venen tropfen. Ich schiele rechts nach unten an mein Bett. Dort hängen drei Glasflaschen, in denen Flüssigkeiten hineinlaufen. Die Schläuche von diesen Flaschen führen unter meine Bettdecke. Meine Blicke schweifen durch den Raum. Sie folgen einer Schwester, die durch den Raum huscht und ihn dann verlässt. Die Tür, aus der sie ging, fällt leise ins Schloss. Auf der Tür kleben große, schwarze Buchstaben. Ich versuche mich zu konzentrieren, um die Buchstaben zu einem sinnvollen Wort zusammenzusetzen. Die nebeneinander gereihten Buchstaben ergeben das Wort »Intensivmedizin«. Plötzlich beginnt ein Monitor hinter mir fürchterlich laut zu piepsen. Eine Schwester eilt zu mir, blickt auf den Monitor und sagt mir, dass ich ruhig und gleichmäßig atmen soll. Immer wieder sagt sie dasselbe. Ich versuche es, aber dieses Teil hinter mir hört trotzdem nicht auf zu piepsen. Sie legt mir eine Maske auf den Mund. Mit aller Kraft kämpfe ich dagegen an, dass mir meine Augen nicht wieder zufallen. Vergebens.
Mir ist, als hätte ich Sandsäcke an meinen Armen – so schwer fühlen sie sich an. Ich versuche meine rechte Hand zu heben, damit jemand an mein Bett kommt. Ich möchte wissen, wie lange ich geschlafen habe. Dieselbe Schwester, die mir vorhin die Maske angelegt hat, kommt zu mir ans Bett. Ich frage sie, wie lange ich schon hier bin. Sie neigt ihren Kopf leicht zur Seite, streichelt mir dabei einmal ganz kurz über meine linke Wange und sagt mir leise, dass alles gut ist. Noch einmal stelle ich dieselbe Frage. Sie lächelt mich liebevoll an und sagt: »Seit zwölf Tagen.« Sie sagt mir, dass es Komplikationen gegeben hat. Mehr will sie
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