Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
Vom Netzwerk:
genauso zum Scheitern verurteilt wie alle vorherigen Reformansätze auch.
    »Lang mach ick dit nich mehr mit«, seufzt Geierchen, als wir am Eingang des U-Bahnhofes ankommen. Dann schüttelt er kurz den Kopf und grinst mich breit an: »Aber zu Ferienbeginn woll’n wa keen Trübsal blasen, wa?«
    »Genau«, stimme ich ihm zu, »wahrscheinlich sollte ich einfach froh sein, diese Freak-Show hinter mir zu lassen und …«
    »Hinter dir?« Geierchen legt den Kopf zur Seite, kneift die Augen zusammen und kommt mir ganz nahe. »Pass ma uff: Schule is ’ne Miniaturlandschaft der Jesellschaft. Und wenn de denkst, Möller, die Minifreaks war’n schon crazy – denn schau dir die Exemplare ma in Originalgröße an!«
    »Wie meinst du das?«
    Als Geierchen gerade Luft holt, hält in der Schlange, die sich nur wenige Meter von uns entfernt vor einer roten Ampel gebildet hat, ein Hundeschlitten auf Rädern zwischen den Autos an. Vor das Gefährt sind sechs waschechte Huskys gespannt. Ein großer Mann mit Vollbart, Regenjacke und Lederhandschuhen steht auf dem Aluminiumgestell des Schlittens und bemerkt unsere Blicke. »Was denn«, fragt er genervt, »noch nie ’n Tandemgespann gesehen?!«
    Geierchen und ich schauen uns einen Moment verwundert an. »Doch, doch«, meint mein Kollege dann und steckt mich wieder mit seiner krächzenden Lache an. »Aber nur im Fernsehen. Reiseberichte über Grönland und so«, kichert er.
    »Nun sein Se mal nicht so verbohrt!«, ruft der Mann zu uns rüber, der ohne Weiteres als Doppelgänger von Reinhold Messner durchgehen könnte. »Meine CO 2 -Bilanz ist unschlagbar«, schiebt er dann hinterher und unterstreicht dabei jede Silbe des letzten Wortes mit wilden Handbewegungen. Einen Moment später schaltet die Ampel auf Grün, und nach einem unverständlichen Befehl in einer fremden Sprache nimmt das Gespann hechelnd Fahrt auf.
    »Äckt globill, sink lokill!«, ruft uns der Hundeführer mit einem harten deutschen Akzent noch zu, während Geierchen ihm lachend nachwinkt.
    Sprachlos schüttele ich den Kopf.
    »Ick sachet ja«, wiederholt Geierchen auf der Treppe zur U-Bahn. »Dit janze Land is voller Freaks – und weil in Berlin die meisten rumspringen, sinn wa och Hauptstadt jeworden.«
    Da mein lieber Exkollege in die andere Richtung fahren muss, wird es Zeit für den vorläufigen Abschied. Als seine Bahn kommt, nimmt er mich so fest in den Arm, dass mir fast die Luft wegbleibt.
    »Möller, wir bleiben in Kontakt, wa?«, sagt Geierchen, und es sieht ein bisschen so aus, als hätte jetzt auch ihn der Abschiedsschmerz gepackt.
    Doch für Sentimentalitäten bleibt keine Zeit, denn als sich die Türen der U-Bahn öffnen, können es die Ersten am Bahnsteig kaum erwarten, den Waggon zu betreten. Ohne Rücksicht auf Verluste drängeln sich die Passagiere, die bislang friedlich neben uns standen, an einem kleinen Mann mit Karohut und Aktenkoffer vorbei, der offensichtlich aussteigen will. Mit hochrotem Kopf versucht er sich unter Einsatz seines überschaubaren Körpers durch die hereinströmende Menschenmasse nach draußen zu quetschen. »Erst aussteigen lassen!«, blafft er schließlich ein paar Unschuldige an, die brav gewartet haben. Dann schiebt er sich rabiat an meinem unbeteiligten Kollegen vorbei und verpasst ihm mit dem Aktenkoffer einen saftigen Pferdekuss.
    »Aua!«, ruft Geierchen und hält sich den Oberschenkel. »Bisse bekloppt, oder wat?!«
    »Selbst schuld, was stehen Sie auch hier herum?«, schnaubt der Herr mit Hut und mustert Geierchen dabei von oben bis unten. »Die ganze Stadt ist voller Spinner!«, schimpft er dann, zupft seinen senfgelben Blouson zurecht und eilt mit trippelnden Schritten davon.
    »Dit sind mir die Liebsten«, sagt Geierchen, noch bevor sich die Türen der Bahn schließen und er vorerst aus meinem Leben entschwindet. »Die Spießer-Freaks!«



2
DER COUNTDOWN LÄUFT
    A ls auch meine U-Bahn kommt, ergattere ich einen Sitzplatz und schotte mich dank der Kopfhörer zügig von der Umwelt ab. Dann zücke ich mein Smartphone, wähle einen Song aus meiner Playlist und öffne die blaue Zeitfresser-App mit dem weißen f. Hier erfahre ich, was meine sogenannten Freunde – Menschen, denen ich teilweise noch nie begegnet bin – der Welt mitteilen wollen: Tina hat einen Bagel mit Rucola zu Mittag gegessen, Konstantin war mit seinem Hund spazieren, Jessica ist langweilig, und Tunç möchte mit mir einen Bauernhof gründen. Nach mehreren Jahren Mitgliedschaft in diesem nicht

Weitere Kostenlose Bücher