Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
sie wissen. »Oder ’ne Kippe?«
Lächelnd händige ich beiden eine Zigarette aus und versuche dann, mich auf mein bevorstehendes Gespräch beim Arbeitsamt zu konzentrieren. Aus gegebenem Anlass kommt mir dabei jedoch ständig Geierchen in den Sinn, denn schon wieder befinde ich mich zwischen etwas sonderbaren Zeitgenossen: das fleischgewordene Statussymbol, das auf zwei Quadratmetern lachsfarbenem Zeitungspapier die Aktienkurse studiert, und zwei waschechte Punks, die eng ineinander umschlungen versuchen, zwischen Tetrapakwein und Springerstiefeln eine Art Romantik entstehen zu lassen.
Leben wir also wirklich in einer Freak-Republik? Wandeln wir eher zwischen Exzentrikern, Übertreibern und Paradiesvögeln durch die sechzehn Bundesländer als zwischen kultivierten Dichtern und Denkern? Und was meint dieser Begriff eigentlich: Freak? Glücklicherweise sind die Zeiten ja vorbei, in denen siamesische Zwillinge, Frauen mit Vollbärten oder körperlich beeinträchtigte Menschen als Zwerge, Riesen oder Dreibeinige im Zelt eines Wanderzirkus ausgestellt wurden. Wohin hat sich dieser Begriff also entwickelt? Was bedeutet es inzwischen, ein Freak zu sein?
Eines haben die drei um mich herum schon mal gemeinsam: Rein äußerlich fallen sie vollkommen aus dem Rahmen. Aber ist es wirklich nur das Äußere, das mich von den Punks oder dem Herren in Nadelstreifen unterscheidet, oder ist es eher das Verhalten, das den schmalen Grat zwischen Homo normalus und Homo freakus ausmacht? Und wer von ihnen ist dahin gehend eigentlich schräger: der wie aus dem Ei gepellte und offenbar sehr gut etablierte Typ, der für seine großflächige Lektüre und sein Gepäckstück zwei Sitzplätze beansprucht, oder die gepiercten und ungewaschenen Schnorrer, die zwar gruselig aussehen, mir aber letztlich weniger auf den Keks gehen als mein Sitznachbar?
Die Frauenstimme der S-Bahn reißt mich aus meinen Gedanken und bewahrt mich so davor, die Station zum Arbeitsamt zu verpassen. Ein kurzer Fußweg führt mich zu dem Gebäude, das zum Glück ganz anders aussieht als in meinem Traum. Innen erwarten mich auch keine Menschenmassen, keine Anzeigetafel und kein gläserner Fahrstuhl, stattdessen fordert ein kleines Schild dazu auf, sich unaufgefordert beim Empfang zu melden. Linker Hand befindet sich ein Schalter, an dem zwei junge Frauen anstehen. Eine von ihnen wird gerade nach vorne gebeten, als ich mich hinter der anderen einreihe. Ihr rotes gelocktes Haar steht in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab, und während sie in ihrer Tasche herumwühlt, brabbelt sie auf Englisch leise vor sich hin. Schwungvoll dreht sie sich plötzlich zu mir um. Ihr stupsnäsiges Gesicht ist voller Sommersprossen. »Excuse me«, beginnt sie mit feinstem britischen Dialekt, »do you speak English?«
Nach genau dieser Frage hat mir meine ehemalige Schulleiterin damals einen Job als Englischlehrer angeboten, aber so etwas wird wohl kaum ein zweites Mal passieren. Ich nicke. Daraufhin erklärt mir die Lady in Höchstgeschwindigkeit, dass sie einen Job in Berlin suche, dabei aber bisher unter anderem an den Sprachkenntnissen der hiesigen Sachbearbeiter gescheitert sei.
Warum überrascht mich das nicht?
Noch bevor sie mich um Hilfe bitten kann, wird sie an den Schalter gerufen und legt die Unterlagen vor, die der Mann hinter dem Tresen mit steinerner Miene prüft. »Sie benötigen eine vom Vermieter gegengezeichnete Meldebescheinigung in Original und Kopie sowie das Kündigungsschreiben mit Zugangs- bzw. Absendenachweis oder den Aufhebungsvertrag des letzten Arbeitsverhältnisses«, erklärt der Mann am Pult in einer solchen Monotonie, dass ich mich für den Bruchteil einer Sekunde frage, ob der Typ wirklich aus Fleisch und Blut oder vielleicht doch ein Android ist.
Hilflos dreht sich die kleine Britin zu mir um. »What does he want?«
»It seems you are missing the …« Dann fehlen auch mir die Worte. »Some documents to receive money«, fasse ich die Aussage des Schalterbeamten zusammen.
»I don’t want money«, erwidert sie energisch. »I want a job!«
Nun schaut der Mitarbeiter mich an und streicht seinen Schnurrbart zurecht. »Wat willse?«
»Eine Arbeit«, übersetze ich und frage mich, ob hier vielleicht doch wieder ein Quereinsteigerjob auf mich wartet. Eigentlich könnte ich ja schon morgen als Dolmetscher einsteigen, denn inzwischen weiß ich ja, wie leicht man in öffentlichen Einrichtungen eine Stelle findet – leider aber auch, wie schnell man wieder vor
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