Binärcode
mit den Mittermaier-Neureuther-Dämonen zu erzählen. Sicher gab es da einiges zu deuteln im Hinblick auf unerfüllte sexuelle Fantasien und Kontrollängste, aber die Therapeutin steuerte in eine andere Richtung.
»Was mögen Sie an Ihrer Frau, Herr Rünz. Warum haben Sie sie geheiratet ?«
Rünz zögerte. Er schaute seiner Frau skeptisch in die Augen und kramte in seinem karg möblierten Gefühlshaushalt nach einer Form der Liebeserklärung, die ihm zumindest einen Rest männlicher Selbstachtung bewahrte.
»Ich finde dich einfach unheimlich – ähm – …«, ein Begriff bildete sich in seinem Sprachzentrum und fiel auf dem Weg zum Mund durch alle Zensurinstanzen, die das Großhirn eines zivilisierten Erwachsenen bereitstellte, wie eine dünne Nürnberger Bratwurst durch die Metallstäbe eines Grillrostes.
»… einfach praktisch!«
* * *
Nach der missratenen Therapiestunde war die Übergabe ihres Geburtstagsgeschenkes eine eher formelle und unterkühlte Angelegenheit gewesen, sie hatte es ihm überreicht wie eine Postbeamtin ein Paket am Schalter. Mit ihren unvorhersehbaren Empfindlichkeiten ging sie ihm zwar oft auf die Nerven, aber eins musste Rünz seiner Frau lassen – sie wusste, wie sie ihm eine Freude bereiten konnte. 540 Minuten ›Walker, Texas Ranger‹ auf DVD, mit reichlich Bonusmaterial, das war nicht zu übertreffen. Die Serie bot das, was Rünz in diesen unübersichtlichen Zeiten am nötigsten brauchte – die Reduktion von Komplexität. Sowohl die Plots als auch die Figuren waren völlig frei von verstörender Ambivalenz. Bei Walker waren die Bösen definitiv abgrundtief böse und die Guten alle Mutter Teresa. Chuck Norris chargierte als ultrakonservativer Hartdurchgreifer, der Todesurteile schon mal vorab auf der Straße vollstreckte, um das Justizsystem nicht über Gebühr zu belasten. Um sich von Ku-Klux-Klan-Rassisten klar abzugrenzen, stellte ihm das Script stets einen afroamerikanischen Deputy zur Seite, ein politisch korrekter Vegetarier, der unter seinem Stetson immer etwas dümmlich dreinschaute.
Rünz gönnte sich zwei Folgen und entschied, die weiteren wie einen guten Rotwein auf die nächsten Tage zu verteilen. Seine Frau hatte dem Geburtstagspäckchen noch ein Buch beigelegt, er zog es aus dem Geschenkpapier und las den Titel.
Jürg Willi
Die Zweierbeziehung
Jürg Willi war, so schloss er aus einigen unfreiwillig mitgehörten Telefonaten mit ihrer besten Freundin, so etwas wie ein Spiritus Rector und Reich-Ranicki der heterosexuellen Partnerschaft, dem eine stattliche Fangemeinde Deutungshoheit über die komplexen Gefühlsverstrickungen urbaner Paarbeziehungen in westlichen Wohlstandsgesellschaften zuschrieb. Als ob jenseits des fortpflanzungs- und baufinanzierungstechnischen Zweckbündnisses in der Partnerschaft zwischen Mann und Frau irgendein tieferer Sinn existierte. Rünz hielt es in solchen Fragen eher mit Oscar Wilde – es gab keine Wahrheit hinter dem äußeren Schein. Er versuchte, das Buch wieder einigermaßen glatt in das angerissene Geschenkpapier einzuwickeln, und legte es in seine Aktentasche. In knapp vier Wochen hatte sein Schwager Geburtstag.
Dann legte er sich schlafen. Schon nach wenigen Minuten sprang sein Traumkino an, er lag in einer Untersuchungsapparatur, die einem Weltraumsatelliten ähnelte, seine Arme waren links und rechts wie bei einer Kreuzigung auf den Solarpanels festgeschnallt. Von der Seite schwebte ein Astronaut im Raumanzug herbei und nahm den Helm ab. Es war der schöne junge Mediziner, er schüttelte sich den Sternenstaub aus seinem güldenen Haar. Dann sagte er vier Worte.
›Ihr Tumor ist bösartig.‹
Subjekt – Prädikat – Objekt. Einfach, klar und geradeaus.
Schweißgebadet schreckte er auf. Er tastete nach seiner Armbanduhr auf dem Nachttisch, es war eine Stunde nach Mitternacht. Er hatte Kopfschmerzen. Seit der Diagnose hatte jede körperliche Beschwerde eine existenzielle Konnotation, harmloses Seitenstechen konnte eine Panikattacke auslösen. Zudem lähmte der Schlaf, der Bruder des Todes, alle Verdrängungsmechanismen, die ihm über den Tag halfen. Es würde dauern, bis er wieder einschlafen konnte, also stand er auf, zog sich seine Hose an und schlurfte ziellos in der Wohnung herum. Er strandete in der Kammer, ein kleiner Raum mit reichlich Dachschräge, einem seit Jahren unbenutzten Gästebett und überflüssigem Gerümpel von der Sorte, das man ein oder zwei Jahrzehnte
Weitere Kostenlose Bücher