Binärcode
Frau war schon unterwegs. Nur noch ein paar Minuten dösen, dagegen war nichts einzuwenden.
Als er Brecker schlaftrunken die Wohnungstür öffnete, war es 16 Uhr.
»Zieh dich an. Dein Kollege schickt mich, dieses Nordlicht. Er sagt, du hättest heute Abend einen Termin beim ESOC .«
* * *
»Doggy Style !« , rief Brecker.
Rünz schreckte auf, er war auf dem Beifahrersitz direkt nach dem Einsteigen wieder eingenickt. Brecker hatte ›Planet Radio‹ eingestellt, Meat Loaf sang zu symphonischem Bombastrock.
»Was ist los? Was erzählst du da ?«
»Analverkehr, was sonst!«
»Nicht jetzt Klaus, fahr mich bitte erst mal zum ESOC .«
»Hör doch mal zu, was der Fleischklops da singt! ›I would do anything for love, but I just won’t do that.‹ Sie will einen Doggy Style, und er weigert sich. Er sagt zu ihr, du kannst alles von mir haben, Baby, aber das nicht .«
»Mein Gott, vielleicht will sie ganz einfach einen neuen Pelzmantel oder einen Sportwagen von ihm !«
»Und warum macht die Riesenfrikadelle dann so einen Aufstand? Der zahlt diesen Kleckerkram doch aus der Portokasse !«
»Ach, und wenn er einer von diesen PETA-Freaks ist, die Amok laufen, wenn sie fachgerecht tranchierte Robbenbabys sehen? So ein Öko-Attac-Bono-Charity-Gutmenschen-Weltrettungs-Celebrity, der einen Hybrid-Prius von Toyota fährt und Gorillababys in Afrika adoptiert?«
Brecker wirkte nachdenklich.
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht …«
»Frag mich, dann musst du nicht denken. Wie läuft’s denn mit Schannin, alles harmonisch ?«
Brecker zog die Mundwinkel nach unten.
»Na ja, nicht so ganz einfach manchmal.«
Rünz rappelte sich in seinem Sitz auf und streckte sich wie eine rollige Katze. Er war es seinem besten Freund schuldig, einige der frisch erworbenen Kenntnisse aus der Paartherapie weiterzugeben.
»Was läuft denn falsch, habt ihr Kommunikationsprobleme ?«
»Komu-was? Junge, ich hab’ nur mittlere Reife, vergiss das bitte nicht .«
»Schon gut, erzähl schon .«
»Vor ein paar Tagen zum Beispiel steht sie bei mir in der Küche, schaut aus dem Fenster und sagt, dass sie Durst hat. Und ein halber Meter neben ihr steht eine Flasche Wasser auf dem Tisch! Ich sag’ zu ihr: ›Na trink doch einen Schluck.‹ Da war sie gleich eingeschnappt. Hat gesagt, sie würde mir was über ihre Bedürfnisse mitteilen, und ich würde ihr einen meiner blöden praktischen Tipps geben, so wie einem Hund, dem man seinen Napf rüberschiebt. Ich sag zu ihr: ›He langsam, du hast gesagt, du hast Durst, und hier steht die Flasche, da liegt’s doch wohl nahe, dass du dir einen Schluck gönnst.‹ Da hat sie gleich die ganze Breitseite gegeben, von wegen Gefühle und Befindlichkeiten mitteilen und Einfühlungsvermögen und dieser ganze Mist. Mann, ich kann dir sagen …«
Rünz schüttelte tadelnd den Kopf, ganz Frauenversteher.
»So subtile Gefühlsäußerungen hätte ich deiner Schannin gar nicht zugetraut, hat die Sozialpädagogik studiert? Aber egal, Klaus – du musst noch sehr viel über Frauen lernen. Was dir fehlt, ist ›Emotionale Intelligenz‹. Pass mal auf, ich erklär’s dir. Wenn deine Flamme dir sagt, dass sie Durst hat, dann sagst du zu ihr: ›Liebling, das Gefühl kenne ich sehr gut. Auch ich hatte einmal starken Durst, ich weiß, was das bedeutet. Die Kehle ist ausgetrocknet, die Lippen werden spröde und rissig, die Zunge schwillt an, die Augen jucken unerträglich, alle Gedanken drehen sich nur noch um eins: Wasser! Wasser!! Der Körper wird müde und schlaff, jede Bewegung kostet große Anstrengung – mein Gott, dir muss es wirklich schlecht gehen. Ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber ich bin froh, dass du mich an deinem Durst teilhaben lässt – mir die Chance gibst, dieses Gefühl gemeinsam mit dir zu erleben. Ich fühle mich dir sehr nahe im Moment – ja gerade jetzt spüre ich, wie auch ich ein wenig durstig werde …‹, und dann nimmst du sie einfach in den Arm. Sie wird dich lieben !«
Brecker starrte sekundenlang seinen Schwager an, ohne auf den Verkehr zu achten.
»Pass auf !« , schrie Rünz.
Mit einer Vollbremsung brachte Brecker das Auto knapp vor der grünen Ampel am Mozartturm zum Stehen, um ein Haar hätte er die Abfahrt zum Europaviertel verpasst. Ein kantiger schwarzer Mercedes Allradler hätte ihnen mit seinem verchromten Kuhfänger fast das Heck zermalmt.
»Verdammt Karl, du bist wirklich ziemlich hart auf den Kopf gefallen. Bist du sicher, dass du schon
Weitere Kostenlose Bücher