Binärcode
Industriemaschine .«
Sie brauchte Minuten, um mit einem Skalpell die Naht auf einer Seite aufzutrennen, ohne das Baumwollgewebe zu zerstören. Dann führte sie vorsichtig eine Pinzette in den offenen Schlitz ein – und zog ein Kondom heraus.
»Als Notreserve für einen Quickie zu gut versteckt, wenn Sie mich fragen«, lachte Habich.
Rünz fragte sie nicht, er starrte auf das Präservativ. Ein straff zugezogener Knoten bildete aus der Spitze des Gummis ein fingerhutgroßes Reservoir. Bartmann hatte keine Drogenrückstände in Rossis Körper gefunden, also hatte er gedealt. Endlich eine irdische Spur.
»Dann wollen wir mal sehen, auf welche Produkte sich unser italienischer Pharmareferent spezialisiert hat .«
Habich schnitt mit ihrem Skalpell die Spitze des Gumminippels ab und schüttete den Inhalt auf den Leuchttisch. Sie waren beide perplex – Dutzende winziger, glitzernder schwarzer Kristalle rieselten wie Schlumpfkonfetti auf die Glasplatte.
»Was zum Teufel ist das ?« , fragte Rünz.
Mit der Pinzette sammelte sie einige Plättchen auf einem Blatt Papier und hielt sie unter die Leuchtlupe.
»Jedenfalls kein getrockneter Fliegendreck. Die Dinger sind exakt quadratisch, weniger als ein Millimeter Kantenlänge .«
Sie bog die Ecken des Blattes hoch, sodass sich eine kleine Tasche bildete, und ging damit zum Stereomikroskop. Rünz folgte ihr. Die Anlage glich einem Hightech-Bohrständer, die gesamte Mikroskopiereinheit hing an einer massiven Profilsäule und konnte über drei Bewegungsachsen mit einem kabellosen Controlpanel gesteuert werden. Habich ließ die Partikel vom Papier auf einen gläsernen Objektträger rutschen. Rünz verfolgte am Monitor, wie die Kriminaltechnikerin eines der glänzend schwarzen Plättchen fokussierte. Mit geringer Vergrößerungsstufe konnte er nichts als einen breiten, rechteckigen Rahmen auf einer Grundplatte ausmachen. Je näher Habich heranzoomte, umso mehr löste sich dieser Rahmen in eine komplexere Struktur auf – einzelne, eng aneinanderliegende Linienstränge. Der komplette Aufbau war erst zu erkennen, als das Objekt das Bildschirmformat ausfüllte. Eine winzige Leiterbahn aus Kupfer führte auf einem kaum halbmillimetergroßen rechteckigen Grundriss in konzentrischen Windungen von außen nach innen und war in der Mitte mit einem zentralen Miniaturschaltkreis verbunden.
»Ein Computerchip ?« , fragte Rünz.
Habich lehnte sich zurück und legte die Füße neben dem Mikroskop auf den Tisch.
»So was Ähnliches. Ein RFID-Transponder. Die Leiterbahn hier außen ist die Antenne. Das eigentliche Herzstück ist dieser Chip, ein Datenspeicher, der über die Antenne berührungslos beschrieben und ausgelesen werden kann .«
»Wozu benutzt man diese Dinger ?«
»Logistik, automatische Kontrolle von Warenströmen, elektronische Kennzeichnung von Produkten in Supermärkten und Kaufhäusern, Teilekennzeichnung bei der Automobilindustrie, Patientenbetten in Krankenhäusern, Zutrittskontrollen, kontaktlose Chipkarten, Markierung von Nutztieren – suchen Sie sich aus, was Sie wollen. Sie können heute kaum noch irgendein Produkt kaufen, an dem nicht irgendwo so ein Transponder dranhängt. Die Dinger werden aufgeklebt und eingenäht, normalerweise bekommen Sie die nie zu Gesicht. Man kann die sogar in Glaskapseln eingießen und Milchkühen unter die Haut pflanzen .«
Rünz blies enttäuscht die Backen auf.
»Welche Datenmengen kann man auf die Dinger draufpacken ?«
»Die Technik ist erst seit ein paar Jahren auf dem Markt, bislang haben 128 Bit für die meisten Zwecke ausgereicht. Aber das hier …«, sie klopfte mit dem Stift auf den Bildschirm, »… ist allerneueste Generation. Die Transponder, die ich bis jetzt gesehen habe, hatten eine Fläche von mindestens einem Quadratzentimeter, den hier bringen Sie ja in einer Zahnfüllung unter. Die werden wir uns mal genauer anschauen. Werde morgen versuchen, die Daten auszulesen. Aber für heute ist Feierabend .«
Sie schaute auf die Uhr. Noch vor einigen Wochen hätte solch eine Entdeckung sie begeistert und veranlasst, nächtelang durchzuarbeiten – im Moment schien sie andere Prioritäten zu haben. Ihr Hormongeysir fing an zu spucken. Carpe noctis.
* * *
Gerade rechtzeitig für die Sitzung bei der Paartherapeutin kam er eine Stunde später aus Wiesbaden zurück. Euphorisiert von dem kleinen Fahndungserfolg, den er letztendlich der Unterstützung seiner Frau zu verdanken hatte, erwog er kurz, von seinem Traum
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