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verstehen.
»Mhmmmm«, brummte Stadelbauer und erinnerte den Kommissar an die Paartherapeutin.
»Da ist nicht viel passiert in dieser Phase. Drei New-Norcia-Passagen, die für Datentransfers genutzt wurden. Nichts Spektakuläres, kleinere Updates und Funktionstests nach drei Wochen Tiefschlaf. Keine Unregelmäßigkeiten, Flug nach Plan, Entfernung zweieinhalb astronomische Einheiten, 21 Minuten Signallaufzeit.«
Er wechselte zur Webseite der DLR, die online eine kleine, interaktive Animation der Rosetta-Mission zur Verfügung stellte. Rünz konnte dank Stadelbauers astronomischem Einführungskurs auf dem Ludwigsturm die Bahnen von Erde, Mars und Jupiter identifizieren. Sie bildeten annähernd konzentrische Kreise um das Zentralgestirn und wurden von einer Ellipse gekreuzt, deren Aphel jenseits der Jupiterbahn lag und die am Perihel tief ins innere Sonnensystem hineinreichte. Wahrscheinlich Rosettas Ziel, der Komet Tschurjumow-Gerasimenko.
»Was ist mit den beiden hier ?« , fragte Rünz und deutete auf zwei Objekte zwischen Mars- und Jupiterbahn, die er nicht identifizieren konnte.
»Sagten Sie nicht, zwischen den inneren und den äußeren Planeten gäbe es nur Asteroiden ?«
»Gut aufgepasst! Steins und Lutetia, zwei Asteroiden des Hauptgürtels, Rosetta wird beide auf dem Weg zum Kometen besuchen, im August 2008 und im September 2009. Die liegen sozusagen auf dem Weg .«
Stadelbauer startete die Animation, und ein faszinierendes Mobile kam auf dem Bildschirm in Gang, die Objekte bewegten sich auf ihren Bahnen um die Sonne, je näher sie dem Zentralgestirn waren, umso schneller. In einem kleinen Datumsfeld lief die aktuelle Missionszeit mit. Das stilisierte Symbol der Rosetta-Sonde löste sich im März 2004 von der Erde, eilte ihr auf einer leicht elliptischen Bahn um die Sonne voraus, um sich nach einem kompletten Umlauf vom Heimatplaneten wieder einfangen und beschleunigen zu lassen. Mit frischem Schwung entfernte sich die Sonde von der Erde, kreuzte die Marsbahn, verlor wieder an Geschwindigkeit, beschrieb einen Bogen Richtung Zentrum, holte den roten Planeten ein und ließ sich kurz hintereinander von Erde und Mars noch einmal beschleunigen, bis sie genug Energie hatte, um sich weit draußen im Asteroidengürtel auf die Fährte des Kometen zu setzen und mit ihm zur Sonne zu reisen. Eine fast klassisch anmutende Komposition, in der Accelerando und Ritardando, Annäherung und Entfernung, einander ablösten – ein virtuelles Weltraumballett als ›Pas de trois‹, in dem sich zwei Tänzer die Ballerina gegenseitig zuwarfen. Rünz schmunzelte. All das war die perfekte grafische Metapher für eine verwickelte Dreiecksbeziehung, eine Frau, hin- und hergerissen zwischen zwei Männern, die sich mal dem einen, mal dem anderen zuwendet, sich von ihnen mitreißen lässt und wieder löst, um letztendlich einem Dritten in die Arme zu fallen, dem Lonesome rider, einem schillernden, geheimnisvollen Fremden aus den unbekannten Weiten des Alls, dem rätselhaften Helden mit seinem leuchtenden Umhang, der sie auf seinem Pferd mitnimmt und mit ihr in die Sonne reitet.
Rünz beschloss, seiner Paartherapeutin den Link zu der DLR-Webseite zu mailen. Damit würde er sicher bei ihr punkten, und sie würde ihn in den Stunden weniger hart rannehmen.
»Warum schickt die ESA die Sonde nicht direkt zum Kometen, warum diese seltsame Ballettvorführung um Erde und Mars ?«
»Swing-by nennt sich die Technik. Höhere Mathematik, da sitzt ein Team von ziemlich ausgebufften Missionsanalytikern im ESOC, die solche Flugbahnen ausknobeln. Und die Leute im Flight Dynamics Room achten während des Fluges drauf, dass die Sonde auf Kurs bleibt und nicht an irgendeiner Kreuzung falsch abbiegt. Mit den heutigen Raketentriebwerken und -treibstoffen bringen Sie ein Raumfahrzeug von der Größe Rosettas vielleicht noch zum Mars oder zur Venus. Wenn Sie mit so einer Nutzlast über die Jupiterbahn hinaus wollen, müssen Sie sich den Schwung woanders holen. Die Sonde fliegt ins Schwerefeld eines Planeten unseres Sonnensystems, der sie beschleunigt wie ein Hammerwerfer die Kugel und sie wieder ins All hinausschleudert, zum nächsten Hammerwerfer. Für Rosetta bedeutet das drei Vorbeiflüge an der Erde und einen am Mars .«
Stadelbauer startete die Animation noch einmal und drückte den Stoppbutton, als im Datumsfeld der 16. Januar 2006 erschien. Die Sonde hatte den ersten Earth Flyby hinter sich und bewegte sich zum ersten Mal jenseits des inneren
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